Fassade durch Nutzung gefährdet? – Rekonstruktionsbefürworter kritisieren Humboldt-Forum

Die Gesellschaft Berliner Schloss (GBS) fragt sich, „welche Gefahren die vorgesehene moderne Nutzung hinter den historischen Fassaden birgt.“ Denn: „Gerade jene wiederaufgebauten Residenzschlösser erfahren die höchste Akzeptanz, deren aktuelle Funktion und Innenraumdisposition nicht im Gegensatz zu ihrer äußeren Gestalt und historischen Bedeutung steht.“

So in der Ankündigung des Buches „Wege für das Berliner Schloss/ Humboldt-Forum. Wiederaufbau und Rekonstruktion zerstörter Residenzschlösser in Deutschland und Europa (1945-2007)“, welches eine von der GBS durchgeführten Tagung zum Thema dokumentiert. Die GBS tritt wie der Förderverein Berliner Schloss und weitere Vereine für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses ein, wurde aber bereits 1991 – also ein Jahr vor dem Förderverein Berliner Schloss – gegründet und hat nach eigenen Angaben über 450 Mitglieder.

Im November 2008 erschien das Buch, welches unterschiedliche konservative Stimmen vereint. Ihnen gemeinsam ist, dass sie aus ihrer Befürwortung der Fassadenrekonstruktion nicht nur weitergehende Forderungen nach Rekonstruktionen von Innenräumen ableiten, sondern auch zumeist das bislang vorgesehene Nutzungskonzept des Humboldt-Forums ablehnen, da es im Widerspruch zu den Barockfassaden stehe.

Im Vorwort des Buches schreibt Klaus Jürgen Velker, Vorsitzender der GBS: „Der kulturpolitische Kompromiss lautet derzeit – innen Humboldt-Forum und außen Berliner Schloss. Die Sammlungen der außereuropäischen Kulturen von Berlin-Dahlem nach Mitte zu holen und damit die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zum zentralen Nutzer des Gebäudes avancieren zu lassen, ist die euphorische vorgetragene Rechtfertigung des Projektes. Diese Divergenz zwischen Form und Inhalt löste aber auch bereits nach kurzer Zeit bei manchem Betrachter ein gewisses Unbehagen aus.“

Der Architekturhistoriker Guido Hinterkeuser schreib in seinem Beitrag: „Der Vorwurf des ‚Fassadismus‘ steht zu Recht im Raum… Schon die lediglich teilweise Wiederherstellung des äußeren Schlosses beschädigt den Bau in seiner ursprünglichen Aussage erheblich und bedeutet eine Willkür, die den Einspruch späterer Generationen herausfordern wird (…). Mit den barocken Fassaden wird das Thema Schloss inhaltlich intoniert, ob es einem gefällt oder nicht. Diesem Inhalt gilt es sich verantwortlich zu stellen, indem ihm auch im inneren des Gebäudes zumindest teilweise Geltung verschafft wird. Bislang ist dies noch nicht vorgesehen, was verrät, das man die Fassaden in der Tat nur als Kulisse verstehen möchte. Während sich das Humboldt-Forum anschickt, zu einer völlig neuartigen Auseinandersetzung mit den europäischen Kulturen einzuladen, offenbart das Vorhaben im selben Moment eine überraschende Sprachlosigkeit gegenüber der eigenen Geschichte und kulturellen Überlieferung.“

Unter dem Titel „Das höfische Erbe Europas zwischen Erinnerung und Reproduktion“
plädiert Helmut-Eberhard Paulus, Direktor der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, im selben Band konsequent dafür, mit der Rekonstruktion von Schlössern auch höfische Kultur und die Ideale des höfischen Erbes wiederaufleben zu lassen: „… Wiederaufbau enthält die Aufarbeitung eines traumatischen Ereignisses durch Wiederaufnahme des Erinnerungsstranges im Wege symbolhafter Handlungen (…) Insofern ist gerade der Wiederaufbau von Schlössern und Schlossanlagen im kulturellen Rahmen des höfischen Erbes am ehesten vergleichbar mit einer Gesundheitsmaßnahme am menschlichen Individuum. (…) Demnach musste im Sinne des Verständnisses von Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Reparatur am geschädigten höfischen Erbe auch der Zusammenhang zu den dahinter stehenden Idealen wieder hergestellt werden,….“ (S. 26f)

Der Berliner Architekt Hans Kollhoff hält es in seinem Beitrag zwar durchaus für möglich, in einem wiedererbauten Schloss die ethnologische Sammlung auszustellen. Umso entschiedener vertritt er jedoch eine strenge architektonische Konzeption für die Innenräume: „Will Berlin die Fassaden oder das Schloss, das ist die entscheidende Frage. Zukunft braucht Herkunft, sagt man. Deshalb werden die Bürger eine Attrappe zu verhindern wissen. Aber wie sollen wir heute ein Schloss bauen? (…) „Natürlich gehören die wiederhergestellten wichtigen Räume an ihren ursprünglichen Ort. (…) Die Illusion muss perfekt sein (…). Das Schloss muss prunkvoll sein (…). Das Volk „will ‚betretbare Geschichte‘. (…) Und es will diese zum anfassen und unverzerrt. Ohne penetrante Didaktik. Es kommt ins Schloss, nicht um zu lernen, sondern um etwas Authentisches unbeschwert zu erleben.“

Bereits zwei Jahre zuvor hatte die Gesellschaft Berliner Schloss e.V. die Broschüre „Das Berliner Schloss – mehr als nur Fassade“ vorgelegt, die bereits ganz ähnlich argumentierte. In seiner Einleitung plädiert hier der Vorstand der GBS für eine klare Trennung zwischen Schlossrekonstruktion und Humboldt-Forum: „Das Nutzungskonzept eines Humboldt-Forums lässt genug Raum für ein Schloss, das mehr ist als nur Fassade. Mit einer Rekonstruktion der bedeutenden Innenräume wie den Paradekammern, den Königskammern, der Schlosskapelle oder dem Alabastersaal würde es gelingen, das Gebäude in seinen historischen Kontext zu stellen. Es würde nicht zur sterilen Ausstellungshalle, sondern zu einem Ort sinnlich erlebbarer Geschichte und Kultur. Eine Verlagerung der Exponate der Sammlung außereuropäischer Kunst und Kultur aus Gründen der Lichtunempfindlichkeit und Größe in die Untergeschosse würde diesen Weg frei machen.“
In der gleichen Publikation äußert sich der ehemalige polnische Generalkonservator Andrzej Tomaszewski: „Mit Aufmerksamkeit verfolge ich als Ausländer die Politiker-Debatte darüber, wie das Schloss wieder aufgebaut werden soll. Mir erscheint es als eine Mischung aus Inkonsequenz, Heuchelei und Opportunismus. Meiner Ansicht nach fehlt darin eine einheitliche Vision. Das riesige Raumvolumen hinter den wiedererrichteten Fassaden wird als ein Raum betrachtet, der nach Belieben gestaltet und mit irgendwelchen Funktionen ausgestattet werden kann. (…) Betrachten die Deutschen das Berliner Schloss als ein Symbol, als ein geschichts- und traditionsträchtiges Bauwerk und nicht nur as sein Raumvolumen, mit dem schwer etwas anzufangen ist, dann muss es mit einer würdevollen Funktion ausgestattet werden. Die Idee, dort (im Berliner Schloss) in einem Teil ein Hotel einzurichten, ist kurios und noch unpassender als der Einfall, die Sammlung des Ethnologischen Museums aus Dahlem dort unterzubringen, wo die Besucher des Königsschlosses mit Tomahawks, Federbüchsen und Ähnlichem konfrontiert würden. Eine derart verzweifelte Suche nach Funktionen stellt nämlich die Notwendigkeit des Wiederaufbaus überhaupt in Frage. Es hilft auch nicht die künstlich erfundene Bezeichnung Humboldt-Forum, die in dieser Sachlage das Andenken des großen Forschers verletzt, ebenso wie das ‚Asbest-Alibi‘ nicht von der Notwendigkeit des Abbruchs des Palastes der Republik zu überzeugen vermochte. Ein wieder aufgebautes Schloss sollte eine seiner Geschichte verpflichtete und an sie anknüpfende repräsentativ-staatliche, wissenschaftlich-kulturelle Funktion ausüben. Wäre es nicht der am meisten geeignete Platz für ein modernes multimediales Museum für Deutsche Geschichte, das aus bereits vorhandene Expositionen und Sammlungen bestehen könnte?“

In die gleiche Kerbe haut Eckhard Fuhr in seinem Artikel in der Welt vom 4.9.2008: „Viele Schlossfreunde wollen so viel Preußen wie möglich in Berlins Mitte wieder errichten. Und wenn sie den Begriff Humboldt-Forum in der Werbung benutzen, dann denken sie nicht unbedingt an eine „mit allen Sinnen“ erfahrbare Begegnung mit dem Fremden, mit der die Initiative liebäugelt. Was also auf den ersten Blick als eine gut gemeinte, konsensuelle Parade großer Namen zur Beförderung eines hehren Bildungsziels erscheint, könnte der Auftakt zu einer höchst kontroversen Auseinandersetzung darüber werden, was „Schloss“ und „Humboldt-Forum“ denn nun eigentlich zu bedeuten hätten. Es gibt eine Bewegung, die den Wiederaufbau des Schlosses als ein Projekt Identitätsstiftender Rückbesinnung begreift. Und eine Gegenbewegung, die hinter den Schlossfassaden die Dekonstruktion des kulturellen Identitätsbegriffs vorantreiben will.

Das geht nicht zusammen. Der Grundsatzkonflikt, der mit dem Bundestagsbeschluss zum Wiederaufbau des Stadtschlosses keineswegs aus der Welt geschafft ist, wird auch die Auseinandersetzung um die Fragen bestimmen, die nun dringend beantwortet werden müssen: Was wird aus dem Haus der Kulturen der Welt, das marginalisiert wäre, wenn das Humboldtforum zum weltweit ausstrahlenden Ort des Kulturaustauschs würde. Und wie muss sich die Preußenstiftung verändern, wenn sie eine solche Aufgabe bewältigen will? Als Museums-, Bibliotheks- und Archivverbund kann sie keinen Kulturzirkus für breite Schichten betreiben. Präsident Hermann Parzinger muss sich mit dem gehobenen Schaugewerbe einlassen.“

An diesen Argumentation wird auch deutlich: Schlossrekonstruktion und Humboldt-Forum sind zwei separate Ideen, die wenig miteinander zu tun haben. Auf der einen gibt es den Rekonstruktionswunsch unabhängig vom Inhalt. Er wird vom Förderverein Berliner Schloss sowie einigen Bundespolitikern wie Renate Blank (CSU) und Wolfgang Thierse (SPD) verfolgt. Auf der anderen Seite gibt es die noch recht unausgegorene Idee für das Humboldt-Forum, für das sich die Nutzer selber, Volker Hassemer mit der Stiftung Berlin sowie insbesondere Politiker der Grünen und der Linken einsetzen. Doch das eine hat mit dem anderen wenig zu tun. Das Primäre war bislang immer der Fassadenwunsch, während die Nutzungsidee schon mehr als einmal modifiziert wurde und auch gegenwärtig von konservativen Kreisen in Frage gestellt wird.

Sowenig man auch die Haltung der GBS teilen mag, muss man zumindest anerkennen, dass sie sich positiv von dem hemmungslosen Populismus des Fördervereins Schloss absetzt, dem alles egal ist, solange die Fassade realisiert wird. Die Position der GBS ist in sich zumindest konzeptionell schlüssig, doch die Werte, für die sie damit Eintritt, sind mehr als fragwürdig.

Siehe auch den Beitrag Das Hohenzollern-Schloss und Beifall von der falschen Seite

Philipp Oswalt

 

 

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