Historische Sammlung oder Gesellschaftlicher Diskurs?

Bericht von der zweiten Veranstaltung ‘Was erwartet die Welt vom
Humboldt-Forum‘ der Stiftung Zukunft Berlin mit Boutros Boutros-Ghali sowie
Klaus Töpfer, Volker Hassemer und Jürgen Kocka.///
Mit Vehemenz und Leidenschaft forderte der 86jährige frühere Generalsekretär
der Vereinten Nationen dazu auf, das Humboldt-Forum als Ort des politischen
Diskurses zu den brennenden Fragen unserer Zeit zu konzipieren. Afrikanische
Kunst auszustellen, stehe dem zwar nicht entgegen, sei aber keinesfalls
ausreichend. Die politische Dimension müsse klare Priorität genießen, um
eine globale Demokratisierung herbeizuführen.
Boutros-Ghali warnte vor den Gefahren, die der Demokratie aus der Tatsache
erwachsen, dass die drängenden Probleme und Fragestellungen unserer Zeit
zunehmend globaler Natur sind und auf Nationalstaatlicher Ebene nicht gelöst
werden können, die hierfür nur in Frage kommenden inter- und supranationalen
Institutionen aber schwerwiegende demokratische Defizite aufweisen. Zugleich
forderte er die Einbeziehung multinationaler Konzerne in den globalen
Demokratisierungsprozess. Das Humboldt-Forum habe eine wichtige Rolle zu
spielen als Instrument und Ort der Einbeziehung verschiedenster,
insbesondere regierungsunabhängiger Kreise in den Prozess der globalen
Demokratisierung und der Entwicklung einer „Kultur des Friedens“.
Es blieb dem ehemaligen Bundesumwelt-, Bundesbauminister und
Exekutiv-Direktor des UN-Umweltprogramms, Klaus Töpfer, vorbehalten, diesen
etwas abstrakten politischen Diskurs zu konkretisieren, um die Rolle der
Kultur zu erweitern und so im Humboldt-Forum rückzuverankern.
Mit dem Hinweis auf die nachweisbare Korrelation des Verlusts an
Biodiversität und des Verlusts an kultureller Vielfalt stellte er die Frage,
ob der Verlust an Vielfalt der Preis der Globalisierung sei? Das
Humboldt-Forum solle nicht vergangene Vielfalt museal abbilden, sondern
einen Beitrag zur Sicherung und Pflege der Vielfalt leisten – nur so sei
Globalisierung zu ertragen. Beide Redner stimmten darin überein, dass
Vielfalt eine Grundvoraussetzung der Demokratie sei, denn wo keine Vielfalt
herrsche, erübrigten sich Abstimmungen.

Anders als bisher wurde die Diskussion zum Humboldt-Forum also nicht darüber
geführt, was im Humboldt-Forum gezeigt werden soll, sondern welche
drängenden Fragen der Menschheit behandelt werden müssen. Eine begleitende
museale Präsentation wird in einem solchen Konzept nur legitimiert durch
ihren Beitrag zum politischen Diskurs. Den an diesem Abend weitestgehend
abwesenden Vertretern der Stiftung Preussischer Kulturbesitz und der
Staatlichen Museen müssen die Ohren gebimmelt haben, denn mit seinen gut 80%
musealer und bibliothekarischer Nutzung entspricht das derzeitige, höchst
statische und konventionelle Raumprogramm weder der räumlichen Offenheit,
die in der ersten Veranstaltung von Prof. Ohashi postuliert wurde, noch der
gedanklichen Beweglichkeit, wie sie Boutros-Ghali und Töpfer forderten. Ob
sich das noch einmal ändern läßt?

Geradezu peinlich vermieden wurde neuerlich die Frage der baulichen Hülle,
obwohl der Schlossplatz bei weitem kein so unbeschriebenes Blatt mehr ist,
wie es die Plakate der Initiative Humboldt-Forum suggerieren. Schließlich
hat der Deutsche Bundestag hier bereits sechs Fassaden und eine Kuppel
vorgezeichnet. Was aber kann die Welt von einem Humboldt-Forum erwarten, zu
dessen äußerer Form seinen politischen Initiatoren nichts anderes einfällt
als der Rückgriff auf 300 Jahre alte Bauformen? Was verbinden die
außereuropäischen Kulturen mit der Zeit des europäischen Barock?

J.Jenatsch, Architekt

 

 

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