Eine halbe Milliarde wofür?

Es ist vollbracht: Der Bundestag hat die Investitionsmittel des Bundes für das Berliner Schloss in Höhe von 478 Millionen Euro am 6. Juli 2011 beschlossen und zum größten Teil auch freigegeben. Damit hat das Schlossprojekt die letzte entscheidende Hürde genommen. Eine halbe Milliarde ist viel Geld, zumal für ein in der Öffentlichkeit sehr umstrittenes Projekt. Und doch: Den Schlussbefürwortern Wolfgang Thierse und Andre Schröder ist es nicht genug, sie wollen noch mehr Geld: für Kuppel und Portale.

Mit dem Fordern ist kein Ende, doch was bekommen wir dafür? Ein Kommentar von Friedrich Ochs

Vor wenigen Tagen wurde die Humboldt-Box eröffnet. Nach den Ausstellungen „Die Tropen“ und „Anders zur Weltkommen“ ist es das Dritte mal, das die Träger des Vorhabens einen Ausblick auf das Kommende geben. Und das einheilige Urteil der Öffentlichkeit ist vernichtend. Nicht nur die Architektur der Humboldt-Box ist ein Desaster, auch die Präsentation im Inneren entwickelt nicht die Überzeugungskraft und das Vertrauen, um in diese „Idee“ eine halbe Milliarde Euro zu investieren. Auch beiden vorhergehenden Präsentation sprang kein Funke über. Doch offenkundig spielte dies bei der Erörterung im Bundestag keine Rolle. Es gab ohnehin nichts mehr, was die Abgeordneten von dem Projekt, „ihrem“ Projekt abbringen konnte. Dies war spätestens nach dem Architekturwettbewerb klar. Selbst die Tatsache, dass Stella als Wettbewerbssieger offenkundig die Voraussetzungen für eine Wettbewerbsteilnahme nicht erfüllte, hielt den Bauherrn nicht davon ab, ihm den Auftrag zu geben. Wenn so etwas möglich ist, ist fast alles andere denkbar. Man will die historische Fassade und nimmt dafür fast alles in Kauf.

Über die Architektur noch zu diskutieren, lohnt nicht mehr. Die Sache ist entschieden. Unklarer ist jedoch, wie das Gebäude genutzt werden soll. Weder in Fachkreisen noch in den Medien klingt die Kritik an der Nutzungskonzeption ab. Im Dezember 2010 wurde der Schweizer Kulturmanager Martin Heller berufen, um die Konzeption für die Agora des Humboldtforums zu entwickeln. Seitdem hat man aber von ihm und seinem prominenten Team nichts mehr vernommen. Dabei gibt es hier und bei der Gesamtkonzeption des Humboldtforums genügend offene Probleme:

– Warum wird die Stadtbibliothek auf vier Standorte verteilt? Sollte man nicht – wie jüngst Niklaus Bernau vorschlug – auf die Zweigstelle der Bibliothek im Humboldtforum verzichten und stattdessen einen Neubau errichten, wo alle Bestände endlich wieder vereint werden können?

– Warum sollen wie geplant für das Humboldt-Forum die ethnologischen Sammlungen aufgespalten werden? Warum soll die aussereuropäischen von den europäischen Sammlungen getrennt werden und letztere in Dahlem verbleiben?

– Was passiert mit dem Haus der Kulturen der Welt mit Eröffnung des Humboldtforums? Für die Agora des Humboltdforums wird genau ein solches Programmprofil propagiert, wie es das Haus der Kulturen bereits seit Jahren erfolgreich praktiziert. Macht es Sinn, eine Einrichtung, auch wenn Sie erfolgreich ist, in nächster Nähe zu duplizieren?

All diese grundlegenden Fragen sind bislang unbeantwortet. Aber die halbe Milliarde sind gesichert. Das Nutzungskonzept war ein genialer politischer Schachzug, um die politischen Mehrheiten für den Wiederaufbau der Schlossfassaden zu organisieren: Man verband das preussische Herrschaftsschloss mit Multikulti, Globalisierungsdiskurs und der spätsozialistischen Träumerei einer herrschaftsfreien Agora. Man teilte den Kuchen unter den drei Grundstücksnachbarn – Stadtbibliothek, Humboldt-Universität und Stiftung Preussischer Kulturbesitz – auf.  Politisch ging die Rechnung auf, das Projekt ist beschlossen. Nun wäre es an der Zeit, die Klientelpolitik und die Rhetorik politischer Korrektheit hinter sich zu lassen und nochmals beherzt das Nutzungskonzept zu verändern. Gegenwärtig hat der biedere Alternativvorschlag der Kulturkonservativen – im Schloss die Gemäldegalerie unterzubringen – allemal mehr Überzeugungskraft als die Idee des Humboldtforums. Wenn man das Cafe der Humboldtbox besucht, bekommt man ein Anschauung, wozu die verkrampften Versuche einer Aktualisierung des Preußentums führen können: Barockstühle aus transparentem Plastik, vermutlich stabelbar;  von der Akustikdecke abgehängt Elektro-kronleuchter, Stofftapetenimiatete. Wie Peter Richter in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schrieb: „Die Leute sitzen da mit ihren Freizeitjacken und Nordic-Walking-Stöcken wie im Fundus der Komischen Oper.“

Die Zeit für einen Befreiungsschlag ist reif. Die Hoffnung dafür jedoch gering. Offenbar ist der Leidensdruck zu gering.

Weiteres zum Thema:

Christoph Stölzl im Gespräch bei Deutschlandradio: Humboldt-Forum braucht Visionen

Bericht vom ersten Treffen der internationalen Berater des Humboldt-Forums: Zweimal Asien ist zuviel, Berliner Zeitung vom 10.4.2011

Karl Heinz Kohl, Prof. für Ethnologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde über das Humboldt-Forum: Die Ethnologie verspielt ihre größte Chance, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.1.2011

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