Die Entfernung der Spenderehrung von Ehrhardt Bödecker ist kein Befreiungsschlag

In einem Brief vom gestrigen Mittwoch 3.November räumte Sohn und Schwiegertochter von Ehrhardt Bödecker, Andreas Bödecker und Elvira Tasbach, ein, dass die jüngst kritisierten Äußerungen in der Tat zum Teil rechtsextrem sind und auch an Orten vorgetragen oder veröffentlicht wurden, die zu rechtsextremen Kreisen gehören. Sie bitten daher, das Portrait-Medaillon von Ehrhardt Bödecker und seiner Frau im Foyer des Berliner Schlosses abzunehmen. Ein solches Statement verdient zunächst Respekt, da es niemanden leicht fällt, sich auf diese Weise zu einer nahestehenden Person öffentlich zu äußern. Doch geht dieses Statement mit der Behauptung einher, dass die problematische Äußerungen der Familie unbekannt gewesen und das jetzt erstmals mit meinem Artikel im Tagesspiegel die Vorwürfe des Antisemitismus und Rechtsradikalismus erhoben worden seien. Aber kann das sein?

Der Berliner Architekt Prof. Wolfgang Schuster berichtete, dass er im Jahr 1994 bei wenigen Gesprächen, die er mit Ehrhardt Bödecker geführt hatte, mit dessen antisemitischen Äußerungen konfrontiert war. Bödecker hatte keine Scheu, seine Meinung auch bei Personen, die ihm kaum vertraut waren, kund zu tun. Und Bödeckers antisemitisches und rechtsradikales Gedankengut hat sich nicht erst mit seiner Pensionierung ausgebildet, wie seine Angehörigen jetzt nahelegen. Es ist aber erst mit seiner ab 1998 einsetzenden Publikationstätigkeit nachweisbar. Und diese war ausgesprochen erfolgreich. Sein Buch „Preußen und die Wurzeln des Erfolgs“ mit einer Reihe indiskutabler Äußerungen ist in sechs Auflagen erscheinen, zuletzt posthum 2018 im rechtslastigen Kopp-Verlag. Dieser vertreibt auch sonst eine Vielzahl rechtsextreme, rechtsesoterische, verschwörungstheoretischer und antisemitischer Titel. Warum hat die Familie diese Veröffentlichung zugelassen und damit der begeisterten Rezeption der Gedanken Ehrhardt Bödecker in Kreisen der extremen Rechten wie der „Nationale deutschvölkische Revolutionsbewegung“ befördert? Und keiner will diese Texte je gelesen haben?

 

Dass die Kritik an diesen Äußerungen jetzt erstmalig öffentlicher erhoben wurde, scheint eine bittere Tatsache zu sein. Aber nicht, weil diese keiner gehört oder gelesen hat. Sondern offenkundig, weil man diese hingenommen hat, viele wohlwollend überhörend, manch einer wohl auch mit Verständnis oder Zustimmung. Ja, „streitbar, oft polemisch, bisweilen auch unerträglich provokativ“ (so die Schwiegertochter Elvira Tasbach) seien seine Äußerungen gewesen, aber eben doch noch akzeptabel. Schließlich war Bödecker eine Person von „bürgerliche Reputation“ (Wilhelm von Boddien). Er war wohltätig engagiert, wie z.B. im Evangelischen Johannesstift, und hatte auch eine sehr enge, freundschaftliche Beziehung zu den jüdischen Vermietern der Geschäftsräume der Weberbank seit den 1960er Jahren. Seine Person lässt sich nicht auf rechtsextremes Gedankengut reduzieren. Aber die sonstigen Facetten seiner Person machen dies nicht ungeschehen oder wiegen dieses nicht auf. Die indiskutable Grenzüberschreitung bleibt unabänderlich bestehen. Der Fall Bödecker zeigt auf, in wie weit antisemitisches und rechtsradikalen Gedankengut in unserer Gesellschaft toleriert und akzeptiert wird, vor allem dann, wenn es mit anderen, positiven Faktoren verbunden ist.

 

Das gestrige Statement der Familie macht nichts ungeschehen, und löst auch weder das Problem des Förderverein noch das der Stiftung, das sich an diesem Fall zeigen. Beiden lag schon seit Wochen eine Dokumentation mit Quellennachweisen von den Äußerungen Bödeckers vor. Die Stiftung verfügte zudem auch über die klare Bewertung des Zentralrats der Juden, ein Konvolut der Digitalisate der Originalquellen und die Information über das Auftreten Bödeckers bei einer vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Organisation. Gleichwohl beschloss der 15-köpfige Stiftungsrat lediglich, „ein renommiertes zeithistorisches Institut [zu] beauftragen, diesen Vorwürfen nachzugehen“. Die versammelten Spitzenkräfte eines der wichtigsten nationalen Kulturinstitutionen, von denen die Hälfte sogar über eine geisteswissenschaftliche Promotion oder gar Professur verfügen, waren nicht Willens oder in der Lage, ein umfangreich dokumentierten und offenkundigen Sachverhalt selber zu beurteilen. Wollten sie auf Zeit spielen? Oder wollten sie nicht selber die Verantwortung für eine Entscheidung übernehmen, sondern diese einem Experten übertragen? Das eine ist so beschämend wie das andere, und zeigt auch eine der Gründe auf, wieso so etwas so lange ohne Widerspruch bestehen konnte.

 

Noch abgründiger ist allerdings das Verhaltens des Fördervereins, welcher Ehrhardt Bödecker als Großspender eingeworben hatte und mit ihm in engem Kontakt stand. Seit Wochen: kein Wort der Distanzierung, kein Wort des Bedauerns, kein Zeichen der Scham. Offenherzig räumte Wilhelm von Boddien gegenüber der Berliner Zeitung ein: „Wir haben auf bürgerliche Reputation geachtet, nicht auf politische Einstellungen.“ Doch wie der Berliner Architekturkritiker Nikolaus Bernau im Deutschlandfunk feststellte: „Das jetzt Nationalisten, und auch Neonazis oder alte Nazis begeistert sind von dem Wiederaufbau des Berliner Schlosses, dass kann wirklich nicht überraschen“. Eine Abgrenzung wäre nötig. Jedoch: Fehlanzeige. Das „bürgerliche Reputation“ mit antisemitischen und rechtsradikalem Gedankengut einhergehen kann, hat man hingenommen. In dem gleichen Sammelband, in dem Bödecker seinen Text „Antipreußische Gehirnwäsche“ veröffentlichte, publizierte Wilhelm von Boddien zum Berliner Schloss und der rechtsradikale Bundeswehroffizier a.D. Max Klaar zur Garnisonkirche Potsdam. Alle drei auf Einladung des Herausgebers, dem rechtslastigen Brigadegeneral a. D. der Reinhard Uhle-Wettler, der drei Jahre zuvor eine Festschrift für den Holocaustleugner David Irving publiziert hatte. Auch auf Einladung von Uhle-Wettler hielt von Boddien bei seiner rechtsgerichteten Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft (SWG) 2007 einen Vortrag. Und die SWG warb 2015 nochmals für Spenden für den Förderverein.

Eine weiter Person von „bürgerlicher Reputation“, zu der von Boddien Kontakt pflegt, ist der mit Rechtsradikalen und der AfD sympathisierende Journalist Matthias Matussek. Mit ihm feierte von Boddien nicht zuletzt dessen 65. Geburtstag. Bei dieser Party anwesend waren auch Mario Müller von der rechtsradikalen Identitären Bewegung, der Chefredakteur des rechtslastigen Magazins Cato Andreas Lombard, die Leiterin der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung Erika Steinbach, der AfD Politiker Roger Lebien, des rechtsradikale Journalist Hanno Borchert und der Verleger der Wochenzeitung Junge Freiheit Dieter Stein.

 

Ehrhardt Bödecker ist nicht ein isolierter Einzelfall unter den insgesamt 45.000 Spender der Berliner Schlossfassaden. Doch diese Frage scheint weder Stiftungsrat noch Förderverein zu bekümmern. Auch nicht die Frage, wie Personen rechtsradikaler Gesinnung mit der Finanzierung von optionalen Bausteinen Einfluss auf die Ausgestaltung des Bauvorhabens genommen haben. Doch eine Aufklärung hierzu sind die Projektbetreiber nicht nur der Öffentlichkeit schuldig, sondern allen ehrenhaften Spendern, die kein zweifelhaftes Gesellschafts- und Geschichtsverständnis haben.

Ist es aber etwa richtig, dass Rudolf-August Oetker als Großspender im Humboldtforums persönlich gewürdigt wird? Er war ab 1933 Mitglied der Reiter SA und ab 1942 als Mitglied der Waffen-SS an der Ostfront im Einsatz. Bis zu seinem Tod verhinderte eine kritische Befassung mit seiner Geschichte, mit der seiner Familie und der seines Unternehmens. Erst nach seinem Tod 2007 konnte die Familie – und dies dann in vorbildlicher Weise – die Problematik aufklären und eine kritische Untersuchung veranlassen.

Die nun wohl erfolgende Entfernung des Ehrenmedaillons von Ehrhardt Bödecker und seiner Frau im Eosanderportal löst die aufgeworfenen Probleme des Humboldtforums nicht. Und der Bund als Bauherr hat noch eine weitere, weitaus problematischer Baustelle. In Potsdam wird überwiegend mit Geldern des Bundes der Turm der Garnisonkirche Potsdam wiederaufgebaut. Initiator dieses Projektes war einst der rechtsradikale Bundeswehroffizier a.D. Max Klaar. Zwar hat inzwischen die evangelische Kirche das Projekt übernommen, aber was sie baulich umsetzt, entspricht weitestgehend der „Vision“ von Max Klaar, die dieser dem damaligen Bischof Wolfgang Huber bei einem Treffen im Juli 2000 unterbreitet hatte.

 

Philipp Oswalt

 

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