Der Antisemitismus des Großspenders Ehrhardt Bödecker

Der verstorbene Berliner Privatbankier Ehrhardt Bödecker war in Berlin und Brandenburg als ein glühender Verehrer Preußens bekannt; im Jahr 2000 hatte er im Brandenburgischen Wustrau sein privates Brandenburg-Preußen Museum eröffnet. Gemeinsam mit seiner Frau Anneliese hat er über eine Millionen Euro für die Schlossfassaden des Humboldtforums gespendet. Dokumentiert ist Ehrhardt Bödeckers antisemitisches, aber auch demokratieverachtendes und geschichtsrevisionistischen Gedankengut über seine Schriften, die er nach seiner Pensionierung im Jahr 1995 bis zu seinem Tod 2016 veröffentlich hatte. Sein Antisemitismus zeigt sich insbesondere in seinem 2004 erstmal erschienenen Buch „Preußen und die Wurzeln des Erfolgs“, das inzwischen in sechs Auflagen erschienen ist, zuletzt als Lizenzausgabe im Kopp Verlag, der rechtsesoterische, verschwörungstheoretisch und rechtsextreme Titel im Programm hat und zudem antisemitische und den Holocaust leugnende Titel anderer Verlage vertreibt. Von hier aus erfuhr Bödeckers Buch besondere Aufmerksamkeit in rechtsradikalen Kreisen, wie z.B. mit einer positiven Rezension auf der Facebook-Seite der Nationale deutschvölkische Revolutionsbewegung NDVRB.

Im Großen und Ganzen liest sich Bödeckers Buch zunächst als eine unkritische und völlig einseitige Preußenverherrlichung, dessen antisemitischen Argumentation kaum auffällt, weil die Argumentationsbausteine hierzu auf mehrere Stellen in dem Buch verteilt sind und im Ton eher subtil daherkommen. Zusammengenommen ergeben diese Puzzlesteine aber ein geschlossenes Weltbild, das klar antisemitisch geprägt ist.

Die Zuschreibung als Juden wirkt zunächst nicht diffamierend, da diese in ihrer Rolle als Verfolgte dargestellt werde. Dies geschieht im Kontext von Bödeckers Erörterung der Kollektivschuldthese. Mit Verweis auf Max Weber schreibt er, dass für Handlungen nur eine Verantwortlichkeit von Einzelnen oder wenigen einzelnen bestehen könne. „Doch was für die Soziologie im Allgemeinen gelten mag, hatte für die Thesen der ‚Frankfurter Schule‘ keine Verbindlichkeit. Horkheimer, Marcuse und Adorno, Erich Fromm könnte hinzugerechnet werden, hatten 1934 als Juden ihre Lehrtätigkeit in Frankfurt einstellen müssen“. (S. 19)

Das wirkt auf den ersten Eindruck vielleicht wenig problematisch, aber bereits hier stellt Bödecker einen Zusammenhang zwischen Jude-sein und Kollektivschuldvorwurf an die Deutschen. Etwas weiter im Text stellt er einen Zusammenhang zwischen Kollektivschuld und „Umerziehung“ her: „Nach allem wird offensichtlich, daß in der Frage der Umerziehung, des Vorwurfs der Kollektivschuld und der Umdeutung deutscher Geschichte eine Metamorphose der geistigen Urheber stattgefunden hat. Die Soziologen aus den USA kamen zunächst in der „Uniform der US-Armee“ nach Deutschland und schlüpften dann, bildlich gesprochen, in die Uniform eines „fortschrittlichen“ deutschen Professors: das waren Bluejeans und Rollkragenpullover. Auf diesem Wege konnte die bis 1960 aus realpolitischen Gründen in den Hintergrund getretene Umerziehung wieder revitalisiert werden, nun aber nicht mehr unter dem Befehl der Sieger, sondern in einer mit Wissenschaftlichkeit angestrichenen Maske der ‚Frankfurter Schule‘“ (S. 31)

Schon am Anfang seines Buches behauptet Bödecker, dass eben diese, jüdisch-marxistischen Soziologen Urheber der sognannten „Umerziehung seien“:  „Die Reeducation des deutschen Volkes nach dem Zweiten Weltkrieg, auch Umerziehung genannt, beruhte überwiegen auf den Ideen deutscher Soziologen und Historiker, die Deutschland unter dem Nationalsozialismus hatten verlassen müssen und in die USA emigriert waren. Sie standen unter dem Einfluß marxistischer-sozialistischer Theorien“ (S. 8). Das problematische und geschichtsverfälschende an dieser Aussage ist, dass die Konzeption der Besatzungspolitik der Siegermächte einigen wenigen jüdischen Exilanten zugeschrieben wird und dies als eine Art Rachefeldzug charakterisiert wird.

Bereits in der Art der Beschreibung in diesem Buch Bödeckers erscheint Umerziehung als eine Zwangsmaßnahme zu Unterdrückung des deutschen Volkes und preußischer Geschichte. Deutlich polemischer und expressiver hat Bödecker diesen Vorwurf bereits zwei Jahre zuvor artikuliert. In dem von ihm in der Schriftenreihe seines eigenen Brandenburg-Preußen Museum veröffentlichten Aufsatz „Vae Victis, wehe den Besiegten“ schrieb er, die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges hätten „das politisch Ziel der persönlichen Demütigung und Erniedrigung der Deutschen, der Untergrabung unsres nationalen Selbstbewußtseins“ verfolgt. Die westlichen Siegermächte als „ausländischen Umerzieher“ hätten sich auf eine „besondere Demütigung geeinigt, indem sie den Deutschen eine Art Gehirnwäsche verordneten, die als Reeducation oder Umerziehung in die Nachkriegsgeschichte eingegangen ist.“ (Ehrhardt Bödecker: Vae Victis, wehe den Besiegten. Schriften Brandenburg-Preußen Museum 1, Wustrau 2002, S. 7/8, 10)

Am Ende seines Buches „Preußen und die Wurzeln des Erfolgs“ spricht Bödecker Klartext. Dort problematisiert er den Umgang der Alliierten mit Deutschland nach Ende des Ersten Weltkrieg (und implizit auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs). Er schreibt: „Alle Friedensschlüsse bis 1918 […] folgten der christlichen Vergebungslehre und daher dem Gedanken der gegenseitigen Vergebung und des gegenseitigen Vergessens. […] Für das europäische Zusammenleben ist es als ein kultureller Verlust zu werten, daß dieser christliche Amnestie- und Vergessenheitsgedanke nicht mehr zum Bestandteil der europäischen Kultur gehört und an seine Stelle das talmudische ‚niemals vergessen‘ getreten ist.“ (Q: Ehrhardt Bödecker: Preußen und die Wurzeln des Erfolgs, 2. Aufl. 2005, S. 109).

Laut der Weltanschauung von Bödecker ist die jüdische Kultur und Religion also mit ihrem „talmudische ‚niemals vergessen‘“ schuld an dem Kollektivvorwurf an die Deutschen und der darauffolgenden Umerziehung, die seiner Behauptung zugleich eine Gehirnwäsche gewesen sei. Nicht alleine, dass er Juden damit bezichtigt. Es ist eben gerade ihr Jude-sein, dass er als ursächlich für diese Verfehlungen, gar Verbechen hält. Denn die damalige Reeducation sieht er nicht als politische Bildung und freiheitliche Erziehung zu einer neuen Mündigkeit nach dreizehn Jahren nationalsozialistischer Indoktrination und Propaganda, sondern als eine Knechtung und Unterwerfung des deutschen Volkes.

Bereits im ersten Teil seines Buchs behauptet er, der Vorwurf der Kollektivschuld käme „aus dem Bauch“, und müsse nach „Charakter und Herkunft des Autors“ beurteilt werden (Q: Ehrhardt Bödecker: Preußen und die Wurzeln des Erfolgs, 2. Aufl. 2005, S. 17/18). „Das innere Wesen der Deutschen war das Ziel, die Generationen sollten gespalten und das geschichtliche Selbstbewußtsein der Deutschen beschädigt werden.“

Das antisemitische Weltbild Boedeckers zeitig sich punktuell auch in weiteren seiner Äußerungen andernorts. So verteidigt er in seinem Buch „Preußen – eine humane Bilanz“ von 2010 den Ausschluss von Juden von staatlichen Ämtern: „Das hatte nichts mit Antisemitismus zu tun, sondern Grund für diese Tendenz war der traditionelle Wunsch des Staates nach Homogenität der Armee und Verwaltung.“ (Q: Ehrhardt Bödecker: Preußen – eine humane Bilanz, Olzog Verlag München 2010, S. 84). Er plädiert also für Homogenität, und um diese herzustellen, für den gesellschaftlichen Ausschluss und die Diskriminierung von als andersartig deklarierten. Diese Idee von Homogenität ist für ihn zudem nicht allein eine Frage von Kultur und Religion. In einem nicht öffentlichen Gespräch mit dem Architekten Prof. Wolfgang Schuster äußerte sich Bödecker 1994 antisemitisch über den Architekten Alfred Messel: „Typischer jüdischer Opportunist, der meinte sich durch die Konvertierung zum Protestantismus rein waschen zu können!“ (Q: E-Mail von Wolfgang Schuster an den Autor, 28.10.2021).

Seine Verharmlosung antisemitischer Diskriminierung und Verfolgung erstreckt sich sogar bis auf den Holocaust. 2002 bestritt er dessen Ausmaß und sprach von der angeblich „inzwischen wissenschaftlich nachgewiesene Unrichtigkeit der behaupteten Zahl von 6 Millionen Opfer“. (Q: Ehrhardt Bödecker: Vae Victis, wehe den Besiegten. Schriften Brandenburg-Preußen Museum 1, Wustrau 2002, S. 8). Im Jahr 2003 veröffentlichte Bödecker einen Aufsatz von Franz Uhle-Wettler, der die Nichtveröffentlichung eines Buchs des Holocaustleugners David Irving als Beispiel für die von ihm kritisierte Political Correctness und die damit angeblich einhergehende Unterschlagung historischer Wahrheiten im Sinne des Zeitgeistes anführte (Franz Uhle-Wettler: Wie Political Correctness unser Geschichtsbild verzerrt. Schriftenreihe seines Brandenburg-Preußen Museum, Wustrau 2003.)

Wenig überraschend ist es, dass Bödecker vorzugweise in den Kreisen der „Neuen Rechte“  und von Rechtsradikalen aufgetreten ist. So hat er Vorträge beim Institut für Staatspolitik (2006), bei der Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft (2005) und der Burschenschaft Normannia Nibelungen (2007) gehalten, war Gastautor der Jungen Freiheit von 2006 bis 2010 und hat auch beim Verband deutscher Soldaten und der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel publiziert.

 

Eine Antwort zu “Der Antisemitismus des Großspenders Ehrhardt Bödecker”

  1. Johann Q sagt:

    Heftig! Denke soetwas wird sich noch bei einigen weiteren betagten und verstorbenen Großspendern finden.