Das neue Kommandantenhaus – ein Vorbild fürs Schloss?


Dieter Hoffmann-Axthelm erörtert in seinem Artikel, warum der Wiederaufbau der Kommandantur misslungen ist.  Das Bauvorhaben kann als Prototyp für die Schlossrekonstruktion gesehen werden: Bei beiden Gebäuden werden drei von vier historischen Fassaden rekonstruiert, wird die Fassadenrekonstruktion mit einem neu gestalteten Inneren kombiniert, ist das Architekturbüro Stuhlemmer & Stuhlemmer mit der Rekonstruktionsplanung beauftragt. ///

Das Kommandantenhaus vervollständigt die Reihe der DDR-Wiederaufbau-Leistungen am Beginn der Achse Schlossplatz-Brandenburger Tor. Dies ist gut und richtig. Die Reihe Palais Kaiser Wilhelm, Oper, Prinzessinnenpalais, Kronprinzenpalais lief in Brückennähe ins Leere. In seiner Brückenkopf-Funktion und im Gegenüber zum Zeughaus ist die Besetzung dieser Stelle also unverzichtbar gewesen. Der damit gewonnene städtebauliche Vorteil ist denn unübersehbar. Ob er nicht auch anders hätte erreicht werden können, durch einen Neubau in historischer Dimension, ist hier nicht zu diskutieren – das Spiel ist aus, der Bau steht; zu dem, was da zu sehen ist, hat man sich jetzt und in absehbarer Zukunft zu verhalten.

 

Das Gebäude steht zunächst einmal auf den Zentimeter genau am historischen Platz – auch das, man denke nur an den 1987 errichteten Neubau des Ephraim-Palais am Mühlendamm, keine Selbstverständlichkeit. Auch wenn kaum einer mehr weiß, dass das historische Gebäude die Keimzelle der gesamten Stadtentwicklung westlich der mittelalterlichen Stadt war, ist diese zuverlässige Ortsanweisung wichtig. Es geht ja um Orientierung, um das genaue Hier, nicht um Identität – diese ist zuverlässig dadurch durchkreuzt, dass kein alter Stein verwendet, dass gründlichst für zwei Untergeschosse ausgeschachtet und alles, was die Archäologen aufgruben, entsorgt wurde. Zudem schneidet im vorderen Teil, ablesbar in der Tiefgarage, die Trasse der geplanten Verlängerung der U-Bahn-Linie 5 schräg unter dem Neubau durch.

Interessant ist das Projekt natürlich nicht, weil das Original als Architektur unersetzlich gewesen wäre – dass es das nicht war, darin sind sich alle Fachleute einmal einig -, sondern es interessiert als Modellfall historischer Rekonstruktion. Als solcher hätte es ein Probelauf werden können fⁿr einen intelligenten Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses. Um es gleich vorwegzusagen: Das ist es nicht. Das neue Kommandantenhaus ist leider nur dies geworden: die Realisierung einer historischen Postkarte im Maßstab 1: 1. Und dies bis hin zu Spießigkeiten wie der Nachbildung der um 1870 mondänen Sonnenschützer. Das einzige Element, das am sichtbar brandneuen Außenbau erklärtermaßen von heute ist, wurde über dem Eingang angebracht: die ultramarin leuchtende Hausnummer i, in diesem Naturstein Festival ein ungewollter Mystery-Effekt der digitalen Welt.

Ist jetzt das Thema Rekonstruktion vom Tisch? Ist dies hier das Erreichbare, mit dem wir uns in Zukunft bei weiteren Fällen zu begnügen haben? Das wäre sicherlich zu schnell gedacht. Mit Blick auf weitere Versuche lohnt es sich vielmehr, anhand dieser maximal in eine bestimmte Richtung vorangetriebenen Lösung herauszufinden, ob es sich hier um das obligatorische Schicksal handelt, das jede Rekonstruktionsentscheidung, an welchem Ort und in welcher Form auch immer, ereilen wird, oder ob nicht ein ganz äußerliches Schicksal waltete, das von vornherein andere Ergebnisseals das angedeutete unmöglich machte. Für die letzte Möglichkeit spricht, dass das Projekt, je näher man es betrachtet, durch eine Reihe auffälliger Dichotomien gekennzeichnet ist, deren Quelle wohlgemerkt nicht in einer souveränen ästhetischen Entscheidung der Architekten oder auch des Bauherrn zu suchen ist. Vielmehr gab es ganz äußerliche Weichenstellungen, lange bevor irgendjemand sich über das konkrete Projekt Gedanken hatte machen können.

Wie kam es dazu? Es handelt sich um den unvorbereiteten Zusammenstoß zweier voneinander völlig unabhängiger Konvois: Auf der einen Seite der Entschluss der Westberliner CDU, das DDR-Konzept der Traditionsmeile Unter den Linden mit dem Wiederaufbau des Kommandantenhauses – der DDR war das zu heikel gewesen – zu Ende zu bringen. Auf der anderen Seite die erst an der Ecke Friedrich- und Leipziger Straße und dann am Spittelmarkt noch einmal gescheiterte Absicht des Bertelsmann-Konzerns, in Berlin eine Repräsentanz zu errichten. Dass beide Absichten, in schicksalhafter Verwicklung, nur miteinander realisierbar sein sollten, das ist, Glück oder Pech, bereits die ganze Geschichte. Denn daraus ergaben sich zwei voneinander getrennte Realisierungsgeschichten. Auf der einen Seite bereitete die Bauverwaltung durch Gutachten eine historische Rekonstruktion der Fassade vor. Mehr als die Fassade war im CDU-Verständnis von Wiederaufbau historischer Gebäude nicht gefragt. Auf der anderen Seite verfolgte die Bertelsmann AG – und ihre Stiftung – die Idee einer modernen Repräsentanz aus Stahl und Glas, durchsichtig, wie das Haus eines Global Players ohne NS-Geschichte und sonstige nationale Eigenheiten zu sein hat. An der Leipziger Straße hätte man mit Benedict Tonon gebaut, am Spittelmarkt mit Christoph Ingenhoven.

Wenn man das fertige Gebäude betritt, ist der erste Eindruck der einer Rekonstruktion nach DDR-Muster, analog zum benachbarten Kronprinzenpalais (Seite 18) oder zur ehemaligen Königlichen Bibliothek am Bebelplatz – außen historische Fassade, unmittelbar hinter der Eingangstür Maßstabwechsel hin zu den Rastern moderner Stahlbeton-Tragwerke. Man steht sofort in einem völlig anderen Raum, der jeden Kontakt mit dem Raumgefühl verloren hat, welches das Achsenschema der Außenfassade vertritt.

Schon auf den zweiten Blick muss man sich im Bertelsmann-Bau aber korrigieren. Hier liegen zumindest visuell und der Absicht nach zwei verschiedene Gebäude ineinander. Hinsichtlich der Konstruktion ist das Ganze natürlich durchgehend Beton. Doch sagen die abgehängten Decken im Erdgeschoss dem Betrachter deutlich genug – und auch der Zuständige aus dem Büro van den Valentyn wies unmissverständlich darauf hin: Hier ist Innenraum, wir haben mit der historischen Fassade nichts zu tun. Es sieht fast so aus, als sei bloß, wie beim Zeughaus gegenüber oder bei der Humboldt-Universität, ein erhaltener Außenbau rigoros neu ausgebaut worden.

Es gibt also auch zwei verschiedene Architekten. Die Architektur der Außenfassade verantwortete das Büro Stuhlemmer & Stuhlemmer, das hat sozusagen die Bauverwaltung beigesteuert. Der Architekt des Innengebäudes, das nur nach hinten, mit dem merkwürdigen Wintergarten, durch die historische Schale nach außen drückt, ist Thomas van den Valentyn. Ihn hat Bertelsmann gegen die Bauverwaltung durchgesetzt – diese, inzwischen nicht mehr CDU-geführt, hätte Architekten mit mehr Verständnis für historische Dimensionen vorgezogen. Die Kritik hat es folglich nicht mit einem, sondern mit zwei ineinander geschachtelten Projekten zu tun, die in der Besprechung zu sondern sind.

Das ist eine ganz schön radikale Variante, auf die man nicht gleich kommt, wenn man das Thema Reproduktion anfasst. Noch konsequenter hätte sich das System natürlich durchführen lassen, wenn es auch zwei Bauherren gegeben hätte, das Land Berlin für die Außenwände, Bertelsmann für alles Übrige. Vom methodischen Standpunkt her ergab aber auch der einfachere Vorgang ein Anschauungsmaterial, für das man den Beteiligten dankbar sein muss.

Die methodische Trennung in zwei verschiedene Architekturen und zuständige Architekturbüros ist nun nicht einmal alles. Die von Beginn an herrschende Spaltungslogik setzt sich vielmehr auch im Inneren der jeweiligen Projekte fort – das ist das Wichtigste, was man hier lernen kann. Und zwar stellt sich das Weiterwuchern innerhalb der Projekte als kalter Schnitt zwischen Bild und Geschichte dar.

Das scheint im Falle der historischen Fassade ein Paradox zu sein – ist sie denn nicht, aus der Sicht des CDU-Milieus und der Gesellschaft Historisches Berlin, die Geschichte? Das ist sie, und eben das ist das Unglück. Denn was auf diese Weise mit Geschichte verwechselt wird, ist die Momentaufnahme vor der Zerstörung: gleichsam das letzte Foto des intakten Baus. Die Geschichte des Gebäudes ist dagegen die Geschichte immer neuer Umbauten und Anpassungen an veränderte Verhältnisse, gewachsene Größenvorstellungen, wechselnde Nutzungen und vielfachen Funktionswandel des Umfelds.

In dem Gebäude, das 1945 zerstört und Jahre später vollständig abgetragen wurde, steckten erstens große Teile des ersten Gebäudes, das 1656 nach dem Dreißigjährigen Krieg hier im Sumpf jenseits von Spreearm und Hundebrücke erbaut wurde, Gregor Memhards, des obersten Baubeamten, eigenes Wohnhaus; zweitens ein elegantes klassizistisches Palais, 1795 nach einem Entwurf von Titel entstanden, zweigeschossig wie die damaligen Nachbarn, mit dem bekannten säulengetragenen Balkon; drittens die kasernenartige Aufstockung durch den preußischen Militärfiskus, was, in Angleichung an die klassizistisch aufgestockten Nachbarn, den Kubus mit den Adlern auf sämtlichen Ecken ergab, der als Vorbild für die Rekonstruktion diente.

Davon sieht man dem Neubau nichts, gar nichts an. Woher auch, wird man hier fragen. Damit hätte man aber schon vor dem Reproduktionsproblem kapituliert. York Stuhlemmer hat nun gewiss eine heroische Recherche- und Wiederherstellungsleistung erbracht, die an Versammlung der Quellen, Rekonstruktion der Baugeschichte und technischer Treue der Umsetzung kaum zu wünschen übrig lässt. Und doch ist das Ergebnis enttäuschend – es ist eindimensional. Es ist die Übertragung eines Fotos in die Wirklichkeit, und mehr eben nicht, es versäumt das Wichtigste, die Dimension der Zeit. Damit wirkt das Ganze zeit- und also leblos, tot.

Was sich hier auftut, ist die Photogrammetrie-Falle. Sie ereilt jeden, der meint, man wüsste, was ein Gebäude ist, wenn man die photogrammetrisch abgetragenen Daten technisch in einen Aufriss übersetzt. Dabei fallen nämlich gerade jene subliminalen Mitteilungen fort, die vielleicht nicht die Kamera der Preußischen Messbildanstalt wahrnimmt, wohl aber das unbewaffnete Auge. In diesen unwägbaren Daten steckt aber, phänomenologisch gesehen, die Geschichte, die Unruhe des Wachsens und Überspielens älterer Zustände. Man sollte von Architektur nun erwarten, das, was an Unregelmäßigkeiten im Bau steckt, statt es computergestützt zentimetergenau zu reproduzieren, wissensgestützt in Ausdruck zu übersetzen: in kleinste Hinweise im Kontinuum der Fassade, die dem entsprechen, was auch der Altbau an metrisch kaum zu fassenden Unregelmäßigkeiten nach außen brachte.

Stattdessen hat sich der Architekt bei Herstellung des Wiederaufbauprojekts zu schnell als Projektant eines Neubaus gesehen und, verlangt oder auch unverlangt, aus der unregelmäßigen Anlage eine regelmäßige gemacht. Das zerstörte Gebäude war keine umgekehrte französische Ehrenhofanlage, sondern hatte aus der Einbeziehung des ersten Winkelbaus von Memhard eine eigentümliche, im Grundriss bis zum Schluss ablesbare Unregelmäßigkeit besessen. Man mag die baugeschichtliche Interpretation in Zweifel ziehen – der tatsächliche Grundriss des Originalbaus ist bekannt und dank der Archäologie auch in situ ausreichend vollständig aufgefunden worden.

Ein durchaus vergleichbares Schicksal hat um aber auch den Innenbau von Thomas van den Valentyn ereilt. Hier ist der Schnitt zwischen Bild und Geschichte nur weit brisanter, weil er eine Entwurfsabsicht von heute betrifft – insofern geradezu eine architekturtheoretische Demonstration, die lehrreicher kaum sein könnte. Das Konzept des Kölner Büros ging von vornherein nicht auf Vermittlung aus, sondern auf möglichst deutliche Distanz zur Rekonstruktion der historischen Schale. Es sollte n die historische Schale, wie in eine Kiste, ein weiter Bau gestellt werden. Dem modernen Innenbau fehlt zur Vollständigkeit eigentlich nur eine Glashaut knapp vor den umschließenden Betonwänden der Fassadenrekonstruktion. Im Hochparterre, der quasi öffentlichen Repräsentationsebene, ist das Konzept auch ziemlich folgerichtig durchgeführt.

Dles ist auf Durchsichtigkeit angelegt. In der vorderen Raumschicht, in die man bei Überwindung der wenigen Treppenstufen eintritt, blickt man sofort quer durch die ganze Gebäudelänge, von einer Ecke zur anderen. In Höhe der Seitenflügel gibt es zwar schwere, optimal schalldichtende – sagt die Bauleitung – Glastüren, diese können aber ohne weiteres geöffnet werden. Der linke, spreeseitige Flügel kann durch Schließen schnell in einen Veranstaltungssaal umgewandelt werden, in den rechten Flügel hat man dagegen noch einmal kleine Container eingestellt – Schachtel in Schachtel in Schachtel.

Durchzug herrscht auch in der Richtung der Eingangsachse. Man steht zwar vor der tragenden Mittelwand, hinter der sich das Treppenhaus entwickelt, diese Wand ist aber so weit aufgeschnitten, dass einem das Wort Öffnung im Munde stecken bleibt: Der Blick fällt frei durch diesen Mittelraum hindurch in den dahinter liegenden Wintergarten und durch diesen weiter in das noch unbebaute Außengelände. Andererseits ist diese Wand auch nichts weiter als eine Schicht, die, mehr Bildschirm als Mauer, in makelloser Glätte die Farben des Bertelsmann-Layouts trägt – Tiefblau mit orangenfarbenen Streifen.

Das ist, wie gewollt, das genaue Gegenteil des historischen Außenbaus: durchsichtig, ohne feste Wände, ein einziger fließender Raum der Moderne. Wir haben es so weit, jedes Detail überzeugt davon, mit einem knochentrocknen, völlig bildfreien Entwerfen zu tun. Und doch ist da noch ein Mehr, schwebt da ein Bild im Raum, wird reproduziert. Das Bild, das hier reproduziert wird, ist das der Villenräume von Mies, des Barcelona-Pavillons, der privaten Villen in Krefeld, Brünn und Berlin-Hohenschönhausen. Es wird keineswegs kopiert, die Details sind von heute, von den hier eingebrachten technischen Möglichkeiten konnte Mies nur träumen. Gerade weil hier technisch alles so opulent ist, entsteht aber nun der empfindliche Riss zwischen dem bildlosen Präzisionsentwerfen von heute, dem nichts, vom Boden bis zu den Deckenleuchten, zu teuer ist, und dem schwebenden Architekturbild der zwanziger fahre, das man – als Emblem der Globalität des Auftraggebers – zitiert. Letzteres ist ja von der Dürftigkeit der Mittel jener Jahre, vom Widerspruch von gläserner Utopie und realer Misere nicht zu lösen. Das ist das gleiche Problem wie mit Hans Scharoun am Berliner Kulturforum, weshalb dort die Pseudo-Scharouns von Edgar Wisniewski ästhetisch so tot und sekundär ausfielen, es fehlt die preußische Magerkeit. So erst recht hier: Bleischwere Opulenz der Details und flüchtiges Bildzitat fallen auseinander. Es wiederholt sich also, im Bildverbrauch eines an sich bildlosen Entwerfens, ein Bildtötungsvorgang, wie er auch dem Außenbau zum Verhängnis wurde.

Im zweiten Obergeschoss gerät das Konzept etwas ins Stolpern. Zur Straße zu – gegenüber die mächtige Südfassade des Zeughauses – sind, in Kooperation mit Vorgaben der Fassade und Zwecken des Konzerns, gleichsam wieder historische Räume entstanden. Da kommt fast eine Idee von Sitzungen, Konzernstrategie, Arbeit auf. Doch wenige Schritte seitlich in die ausgedehnte Lounge genügen, um diese Ahnung zu zerstäuben: eine der quasi ins Unendliche zielenden Theken, tiefdunkle polierte Wandflächen, ein Makassar-Fournier-Festival.

Wiederum ausdrücklich Barcelona-Pavillon, und diesmal in seiner plüschigen neureichen Behäbigkeit vollkommen daneben. Schließlich der Wintergarten: von innen der übliche funktionslose Raum durch drei Geschosse, den man bei normalen Geschäftshäusern der neunziger Jahre vorne findet, als Atrium. Nichts also von der Intimität eines bürgerlichen Wintergartens. Da nützt einem auch die Bildschirmdecke nichts, auf der ein elektronischer Kunsthimmel entfaltet werden kann. Das Gerät wäre sinnvoll, um haushohe Palmen in tropischer Feuchte mit entsprechenden Papageien zu beherbergen, als Aggregat eines Firmensitzes, der trotz aller Anstrengungen nun einmal im engen Korsett eines klassizistischen Palais steckt, mit der Hausnummer Unter den Linden 1, scheint es jedoch wenig sinnvoll.

Von außen betrachtet ist der Wintergarten übrigens eine Art gläserner Rucksack. Die Schrägstellung der Außenwand mit dem vorgelegten Metallgrill gibt dem Ganzen etwas von Automobilkühler um 195o, ein bemerkenswert verunglücktes Design. Umso mehr, als hier ja der einzige Punkt ist, wo die Architektur van den Valentyns frei nach außen tritt. Das heißt, hier zeigt sich die Unsicherheit des Büros dann, wenn es exemplarisch zu sprechen gilt. Der groß und theatralisch angelegte Auftritt hätte bei diesem selbst gewählten Fenster ausgestellter Expressivität nicht gründlicher verpatzt werden können. Ein Trost für den Passanten ist, dass man das von der Straße aus nicht sieht und von hinten, wenn erst einmal die Nachbarn gebaut haben, ebenfalls, kaum noch zu sehen bekommen wird.

Das gilt natürlich auch für das insgesamt wenig glücklich machende Innere – wann wird man schon von Bertelsmanns eingeladen oder von einem anderen Unternehmen, was sich bei einem Event unter anderem die Miete dieses Gebäudes kosten lässt. Von hinten bis vorne auf Repräsentanz im äußerlichsten Sinne ausgelegt, in Umkehr der preußischen Devise, mehr zu sein als zu scheinen, ist das Ergebnis kein Grund, darüber traurig zu sein. Was traurig macht, ist das Schicksal der rekonstruierten historischen Außenhaut: Es ist ungewöhnlich viel Geld ausgegeben worden, allein schon für bloße historische Recherche, und es ist lebloser Positivismus herausgekommen. Von außen erscheint das Gebäude, so richtig es an seinem Platz steht, als Wiedergänger – ein Gespenst: Man traut seinen Augen nicht.

Und das ist das Gegenteil von dem, was die Rekonstruktion, wenn man sich denn zu einer solchen entschließt, erreichen sollte. Wenn es gelingt, dann wäre dieses Ergebnis gerade daran ablesbar, dass man seinen Augen traut. Und man würde ihnen dann trauen, wenn die Wiederkehr des historischen Gebäudes sich auch als solche erklären könnte, wenn sie jenes Minimum an Distanz zur bloßen mechanischen Reproduktion offen ließe, in das das Wissen, oder die Ahnung, der zwischen verlorenem Original und heutiger Reproduktion liegenden historischen Katastrophen einschießen könnte. Wie man das macht, dafür wären gute und schlechte Beispiele heranzuziehen.

Die Marktfassade des neuen Halberstädter Rathauses (Seite 20), die Palladio-Fassade am Neuen Markt in Potsdam (Seite 24), sie mögen noch nicht der Gipfel sein, sie erreichen es immerhin, einem Geschichte zu erklären und damit von vornherein mit ihrem Wiederauftritt zu versöhnen. Hier, Unter den Linden 1, hat man nur die sprachlose Feststellung: So sah es aus, ganz genau so. Wollten wir das wissen? Zu dieser Mitteilung reichen die Postkarten.

Erstmals erschienen in: Bauwelt Heft 1/2-2005, Gütersloh. Wiederveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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