Der Dissens wird nie aufhören

Hannes Swoboda, österreichischer Europapolitiker und ehemaliger Vorsitzender der Internationalen Expertenkommission „Historische Mitte Berlin“ über die damalige Empfehlung der Expertenkommission aus heutiger Sicht und die Rolle des Schlossvereins. ///

 

 

 

SCHLOSSDEBATTE.DE: Mittlerweile ist es sechs Jahre her, dass die Expertenkommission ihre Empfehlung zur Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses ausgesprochen hat. Wie bewerten Sie die Entwicklungen seit ihrer Empfehlung?

HANNES SWOBODA: Ich hätte mir eine raschere Umsetzung gewünscht. Auf der anderen Seite war mir klar, dass gewisse Dinge zu klären sind. So ein Riesenprojekt kann nicht unvorbereitet und ohne Abwägung aller Argumente umgesetzt werden. Im Prinzip bin ich froh, dass es weiter geht. Man wird sehen, was der Wettbewerb bringt.

SCHLOSSDEBATTE.DE: Am Anfang hat es bei den Befürwortern eine sehr große Euphorie gegeben. In den folgenden Jahren kam es aber doch zu einer gewissen Ernüchterung und auch zu einer recht großen Diskussion. Hatten Sie damals vermutet, dass es zu diesem Dissens kommt?

HANNES SWOBODA: Ja, das war schon von vorneherein klar. Da bestehen ja zwei Strömungen. Zum einen gibt es den Dissens derjenigen, die von vornherein auch den Palast der Republik erhalten wollten. Zum anderen gibt es den Dissens von jenen, die meinen – und da spricht ja viel dafür – heute solle man nur mit moderner Architektur bauen. Daher ist die Kritik an dem Ergebnis unserer Kommission von vorneherein von beiden Seiten präsent gewesen. Ich glaube, dass der Dissens nie aufhören wird, weil auch eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre. Wohl weniger für den dauerhaften Erhalt des Palastes, sondern für die Möglichkeit, mit einer modernen Architektur rundherum, also inklusive der Fassade, zu bauen. Die Entscheidung ist aus meiner Sicht nicht schwarz-weiß. Es sind noch verschiedene Grautöne in ihr enthalten. Und daher wird es diesen Dissens immer wieder geben, wahrscheinlich noch, wenn es hoffentlich gebaut wird. Noch in 200 Jahren werden sich die DissertantInnen und ProfessorInnen darüber streiten. Damit muss man leben.

SCHLOSSDEBATTE.DE: Halten Sie den Dissens bei einem solchen nationalen Bauvorhaben für unvermeidlich?

HANNES SWOBODA: Einerseits ja, auf der anderen Seite sollte man das nicht ideologisch überhöhen. Deutschland hat so viele andere, sagen wir – identitätsstiftende – Merkmale, bauliche wie nicht-bauliche. Ich selbst habe stets sehr stark dafür plädiert, dass das Schloss dort gebaut wird , auch in der Form, wie es jetzt vorgeschlagen wird. Ich habe aber auch immer betont, dass es nicht ideologisch so überhöht gesehen werden sollte – weder von den Gegnern noch von den Befürwortern. Man sollte es durchaus als ein wichtiges Bauwerk – insbesondere aus städtebaulicher Sicht – sehen, das eine große kulturelle Ausstrahlungskraft haben kann. Doch daran entscheidet sich nicht das Schicksal Deutschlands, geschweige denn Europas.

SCHLOSSDEBATTE.DE: Wird das Projekt in seiner symbolischen Bedeutung von der medialen Diskussion überbewertet?

HANNES SWOBODA: Ich glaube schon. Es haben sich hier verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen und Einstellungen widergespiegelt. Unter anderem auch die Frage: „Berlin als Hauptstadt?“, die ja sehr lange nachgewirkt hat. Inzwischen hat sich das weitestgehend gelegt. Man hat gemerkt, dass Berlin durch seine Zentralität nicht das föderale Gleichgewicht Deutschlands aus den Angeln hebt. Und so ist das auch mit diesem Bau.

SCHLOSSDEBATTE.DE: Der Bundestag hat letztes Jahr mit der Vorgabe einer Kuppel eine weitergehende Rekonstruktion für den Wettbewerb vorgeschrieben als von der Expertenkommission empfohlen, er hat also die Idee der Rekonstruktion radikalisiert. Zugleich hat sich mit dem Abriss des Palastes der Republik die Empfehlung der Kommission erübrigt, die Möglichkeit der Einbeziehung von Teilen des Palastes in den Neubau zu prüfen.

HANNES SWOBODA: Ich halte das für absolut positiv. Die Kuppel ist eine gute Ergänzung. Sie ist nicht lebensentscheidend für das Projekt, aber doch eine positive Ergänzung. Die war ja auch von uns zum Größtenteil gewünscht, aber man hatte eingesehen, dass dies zum damaligen Zeitpunkt nicht vorstellbar war. Zur Frage, die die Einbindung des Volkskammersaals betrifft: Viele von uns waren skeptisch, was diese Zitate betrifft. Ich bin das auch. Natürlich kann man erinnern. Man sollte auch eine Erinnerung an die Existenz des Palastes der Republik und auch der Volkskammer sichtbar machen. Aber das muss nicht in eine Teilrekonstruktion des Saales münden.

SCHLOSSDEBATTE.DE: Welche Rolle hat das Spendenversprechen des Schlossvereins für die Meinungsbildung in der Kommission bzgl. der Fassadenrekonstruktion gespielt?

HANNES SWOBODA: Eigentlich eine geringe. Natürlich, wenn alle gesagt hätten: privat kriegen wir kein Geld und die öffentliche Hand ist nicht bereit zu, dann hätte man sich das vielleicht noch einmal überlegt. Dann hätte ich auch gesagt: Okay, das ist einfach irreal. Aber es gab einige Anhänger.

SCHLOSSDEBATTE.DE: Im Nachhinein stellen sich viele Sachen anders dar, als es zu Zeiten der Expertenkommission eingeschätzt wurde. So auch bei dem Spendenversprechen: Der Schlossverein hat damals gesagt, er habe schon ein paar Millionen Spenden versprochen bekommen. Inzwischen behauptet er, er habe erst zwei Jahre später mit dem Sammeln begonnen. Und heute, nach sechs Jahren, hat er nur gut 2 Millionen auf dem Konto.

HANNES SWOBODA: Also ich bin immer skeptisch bei derartigen Zusagen, ich habe das auch während der Sitzung gesagt. Die Leute versprechen: „Ja, das zahle ich“. Aber wenn es dann drauf ankommt… Und der Schlossverein kann nicht 10 Jahre bevor klar ist, ob das Schloss gebaut wird, so viel Geld auftreiben. Vielleicht haben andere dem Schlossverein mehr geglaubt. Ich sage da jetzt gar nichts Negatives, weil ich das Engagement schätze. Aber ich habe damals immer betont: Wir haben keine Kontoauszüge gesehen, und wir können nicht damit rechnen. Entweder ist es insgesamt für die öffentliche Hand entscheidend, das Projekt zu realisieren – und das war zu jener Zeit, in der wir zur Entscheidung gekommen sind, schwierig, weil die wirtschaftliche Lage ja nicht rosig war – oder die öffentliche Hand ist es nicht. Dann ist uns lieber zu warten, bis bessere wirtschaftliche Zeiten eintreten. Und ich bin über das Warten gar nicht so unglücklich. Denn ein solches Projekt baut man ja nicht für 5 oder 10 Jahre, es sollte für Jahrhunderte sein. Deshalb muss man in die Qualität investieren. Die Qualität, gerade einer alten Fassade, muss mit besonderem Wert gemacht werden und nicht als Pfusch. Oder man ist nicht bereit, dann sollte man auch ein anderes Projekt entwickeln. Aber zu sagen: Wir wollen die tolle, alte Fassade rekonstruieren, aber das machen wir ein bisschen wie bei der Sagrada Familia aus Beton und legen wenig Wert auf Details – das geht nicht.

SCHLOSSDEBATTE.DE: Es gibt derzeit einen Boom an Rekonstruktionen in Deutschland: Dresden, Hannover, Braunschweig, Frankfurt, Heidelberg, Potsdam usw.. Wenn man sich die Projekte in der Übersicht anguckt, dann hat es vielleicht quantitativ gar nicht zugenommen, aber es ist in der Öffentlichkeit präsenter. Als Europapolitiker sind Sie viel unterwegs. Nehmen Sie diese Tendenz zum Rekonstruieren als eine spezifisch deutsche Entwicklung der letzten Zeit wahr?

HANNES SWOBODA: Angesichts dessen, dass mehrere Projekte entwickelt worden sind, habe ich manchmal gedacht: Ist das nicht zu viel? Aber – und das ist mir wichtig festzuhalten – dies geht nicht mit einem imperialen Gehabe Deutschlands oder einer Zunahme von restaurativen Tendenzen einher. Von daher kann man das durchaus akzeptieren. In Österreich haben wir eine andere Situation: was sollten wir bei uns rekonstruieren? Das, was zerstört war, Oper und Stephansdom, ist natürlich nach dem Krieg rekonstruiert worden. Das ist eine ganz andere städtebauliche Situation.

SCHLOSSDEBATTE.DE: Neben der Architektur war der zweite wichtige Teil der Empfehlung der Expertenkommission der Vorschlag zur Nutzung. Ihr Nutzungskonzept sah eine Art Dreiheit aus den außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Sammlung der Humboldt Universität und der Stadtbibliothek vor. Nun hat sich herausgestellt, dass vom Volumen her nicht einmal die Hälfte der von Ihnen vorgesehenen Nutzung realisiert werden kann. Im Wesentlichen sind jetzt noch die außereuropäischen Sammlung übrig geblieben, die Humboldt Universität ist kaum noch vorhanden, die Bibliothek stark geschrumpft. Hätten Sie in dieser veränderten Situation noch mal neu über die Nutzung nachgedacht?

HANNES SWOBODA: Uns ging es im Wesentlichen darum, zu sagen: Das ist ein Projekt mit vornehmlich öffentlichen Funktionen und nicht – was ja auch im Raum stand – mit Hotel oder Spielcasino, also keine kommerzielle Nutzung. Dafür errichtet man ein so zentrales Gebäude nicht, selbst in Zeiten, in denen man sparsamer sein muss. Daher sehe ich in diesem Punkt keine qualitative Veränderung. Zugleich muss eine kritische Substanz an Fläche vorhanden sein, damit es attraktiv ist. Das kann ich aber von außen schwer überprüfen. Schlimm wäre, wenn wir ein Gebäude errichten, das zwar städtebaulich passt, aber das von den inneren Angeboten her die Leute nicht anzieht und nicht attraktiv ist.

SCHLOSSDEBATTE.DE: Einige Stimmen – wie etwa Volker Hassemer – halten es für wichtig, den zukunftsweisenden, innovativen Aspekt des Programms zu entwickeln. Oder kann und soll man den Anspruch niedriger hängen und das Humboldt-Forum einfach als einen weiteren Baustein der Museumsinsel betrachten und damit zufrieden sein, wenn es sich um ein gut funktionierendes öffentliches Museum handelt?

HANNES SWOBODA: Na ja, das wäre vielleicht zu kurz gegriffen. Es war prinzipiell immer eine der tragenden Ideen, das museale, wenn man so will, als ein Sprungbrett zu verwenden: für den Sprung in die Zukunft. Die Idee war ja auch, die ethnologischen Sammlungen zu verwenden als Basis für ein Gesamtkonzept, das Weltkultur und Weltreligionen vermitteln soll. Ich will nicht von dem Clash of Civilizations reden, weil das zu sehr mit einer Person besetzt ist, aber die Spannungen, die Konflikte, die Auseinandersetzungen nehmen in der globalisierten Welt eher zu. Und dass wir von Europa aus einen Beitrag zum Dialog, zur Auseinandersetzung, zur Präsentation leisten müssen, das war schon die Idee, die mit der Präsenz der musealen Einrichtungen verbunden gewesen ist. Also das dürfte nicht scheitern, da muss man entsprechende Möglichkeiten liefern. Ich sehe allerdings heute ein Museum ohnehin nicht als museal im Sinne der Vergangenheitspräsentation, sondern immer als einen Bestandteil einer Auseinandersetzung mit Gegenwart und Zukunft. Aber dieses Sprungbrett, das muss schon vorhanden sein. Da gebe ich Volker Hassemer völlig recht.

SCHLOSSDEBATTE.DE: Wenn man diese Idee einer Zusammenführung von verschiedenen Kulturen hat, dann ist es problematisch, dass die vorgesehene ethnologischen Sammlung im wesentlichen aus dem 19. Jahrhundert stammt. Es ist eigentlich der eindimensionale Blick von Europa nach außen. Sollte man da nicht an eine Ergänzung denken?

HANNES SWOBODA: Es wäre günstig, aber meines Erachtens nicht entscheidend, wenn ein europäischer Teil und aktuelle Objekte vorhanden wären. Ob da jetzt im Einzelnen Lücken sind, die man vielleicht auch schließen kann; ob man medial einiges machen kann; ob man über Ausstellungen einiges machen kann – wichtig ist, das es einen Bereich für Wechselausstellungen und Veranstaltungen gibt. Dies eröffnet die Möglichkeiten, über das eine oder andere Defizit hinwegzukommen.

SCHLOSSDEBATTE.DE: Das Schloss ist das Gebäude eines christlichen Herrschers, was sich auch in der Ikonografie des Bauwerks deutlich widerspiegelt. Müsste man nicht, wenn man seinen Wiederaufbau für einen globalen interkulturellen Dialog vorsieht, irgendeine Geste machen, um die christliche Prägung des Gebäudes aufzufangen?

HANNES SWOBODA: Im Louvre, das ja auch ein Schloss des christlichen Herrschers war, wurden und werden auch andere Kulturen, die mit der katholischen Religion nichts zu tun haben, gezeigt. Wenn jemandem etwas Gutes einfällt dazu: ich hab absolut nichts dagegen. Es ist ja durchaus möglich, dass gerade auch aus dem Architekturwettbewerb die ein oder andere Idee formuliert wird. Es ist nicht zwingend notwendig, aber wenn man hier eine vernünftige, nicht zwanghafte und erzwungene Geste findet, ist das sicherlich sehr zu begrüßen.

SCHLOSSDEBATTE.DE: Würden Sie heute die Arbeit von der Kommission genauso wieder durchführen oder würden Sie da anders vorgehen?

HANNES SWOBODA: Ich hab mir das oft überlegt. Ich glaube, es hätte keine andere Möglichkeit gegeben. Der Streit war da, die Auseinandersetzung war da. Einige haben mich geholt, weil ich eher ein Vertreter der modernen Architektur bin und waren vielleicht enttäuscht, dass ich mich in diesem konkreten Fall zu einer anderen Einstellung durchgearbeitet habe. Aber letztendlich ist die richtige Entscheidung getroffen worden. Noch einmal: Die Nutzung stand immer im Vordergrund. Die Nutzung des Städtebaulichen. Hinsichtlich der Fassade oder der äußeren Gestaltung hätte ich auch akzeptiert, wenn man eine andere Entscheidung getroffen hätte. Ich glaube, die Entscheidung ist recht leicht, aber doch die bessere Variante. Vom Prozess sehe ich keine andere Möglichkeit, weil die vorhandenen Streitpunkteeinfach unvermittelbar und nicht auf einen Nenner zu bringen gewesen sind. Außer letztendlich durch eine Mehrheitsentscheidung. Aber das ist ja in der Demokratie nichts Verwerfliches.

SCHLOSSDEBATTE.DE: Mit der Frage war gar nicht das Ergebnis gemeint, sondern die Arbeitsweise der Kommission.

HANNES SWOBODA: Es hat vorher schon Vorschläge gegeben – Wettbewerbe, Ausstellungen etc. Man hätte also parallel gar nichts mehr machen können. Es hat Diskussion gegeben von verschiedenen Einrichtungen, von Schlossbefürwortern und von Gegnern. Der ganze Prozess ist relativ transparent gelaufen und von daher glaube ich, war das okay.

SCHLOSSDEBATTE.DE: Vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Gespräch führte Philipp Oswalt im April 2008. Redaktionelle Bearbeitung Nina Brodowski

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