Entwurf Axel Schultes und Charlotte Frank (1993/ 2001)

Der vieldiskutierte und beachtete Entwurf von Axel Schultes und Charlotte Frank aus dem Jahr 1993ff. schlägt eine neue städtebauliche Lösung für das Schlossareal vor, innerhalb derer eine Rekonstruktion der Schlüterhof-Fassaden in neuer Konfiguration realisiert werden soll. Für den Wettbewerb 2008 haben die Architekten einen Entwurf gemäss der Auslobungsbedingungen vorgelegt, der mit der Jury am Ende der ersten Phase ausschied und den Axel Schultes inzwischen als den größten Fehler seines Lebens bezeichnet. Wie immer man dies beurteilen mag, der ursprüngliche Entwurf war ein sehr wichtiger Beitrag zu Schlossdebatte der letzten 15 Jahre und bleibt es weiterhin.

Verbrauch von Zukunft

‚Niemand wird die segenstiftende Wirkung des wiedererrichteten Schlosses für das Neue Berlin bestreiten wollen; niemand wird unserer von Selbstzweifeln imprägnierten Stadtbaukunst die Kraft zutrauen, die ‚Mitte der Mitte‘ mit einem zeitgenössisch-grosszügigen, urban-festlichen Plan zu erlösen. Ich bin dieser Niemand‘. So oder ähnlich hätte ein Architekt Lessing eine ‚Berlinische Dramaturgie‘ über die Instinktlosigkeit seiner Landsleute in allen Fragen städtischen Raumes, in allen Problemen urbaner Dichte und Intensität beginnen lassen. Aber kein Lessing in Sicht.
Für ein Linsengericht, für nichts als eine Vedute, ein Panorama, eine Fassade, eine Illusion gibt Berlin – ohne Not – eine Jahrhundertchance aus der Hand. Schaut man schon immer mit Sehnsucht auf die wunderbaren Raumbildungen, Stadtbildungen des Südens, schaut man schon immer mitleidig auf die vergleichsweise kargen, ärmlichen Hervorbringungen hier in der Märkischen Streusandbüchse, schleicht sich Wehmut ein: – könnte doch wenigstens da, wo das Schloss einmal stand, der schreckliche Verlust zum Guten, ganz ausnahmsweise einmal zum Guten gewendet werden!
Aber es sieht ganz danach aus, als wenn sich ein unerschöpflich kluges Wort, bald zweihundert Jahre alt, immer wieder als so traurig wahr erweisen muss: das alle grossen geschichtlichen Ereignisse sich sozusagen zweimal ereignen, das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Muss denn die alte Burg, die Arx Berolinensis, Tragödie in sich und in ihrer Zerstörung, muss denn nun wirklich, im anschwellenden Chorgesang der Nostalgiker und Populisten, muss das Schloss als Farce wiederaufgeführt werden, als Komödie von Tradition und Geschmack, als Kurzschluss der Vorbilder, als Verrat an der eigenen Zeit, als Angst vor dem Neuen?
‚Unmögliches hat in der Kunst Gelingchancen, das Sichere ist immer zweifelhaft und aussichtslos‘: die vermeintliche Sicherheit der Kopie wird Zeugnis ablegen von dem armseligen, ausgetrockneten Rest einer Kultur, die müde an sich selbst, müde an ihrem eigenen Abziehbild kleben bleibt.
Und ‚Tragödie‘, Nachteil der Historie für das Leben der Stadt, war das Schloss schon lange vor seiner Zerstörung: schon unser Oberbaumeister Schinkel, für den Stadt nur Labyrinth, nur Hemmnis seiner Träume war, schon Schinkel liess sich vom ‚Monolithen‘, vom Unstädtischen schlechthin, vom Schloss, vom ‚Staat‘, und gegen die Stadt inspirieren. Er fand es viel nobler, die neuen Kreationen schön frei in die Geographie zu komponieren, das ‚Grossartige‘, wie er meinte, zu begründen; der Berliner Burg – schon absehbar auf dem Weg in die Wilhelminische Isolation, – das Museum und später die Bauakademie isoliert dazu zu stellen – nicht die Polis, nicht die Agora (wie er blind behauptet), sondern die Akro-Polis, die Hoch-Stadt, die ‚Nicht-Stadt‘, zum Vorbild zu machen, – dieser Mangel an Instinkt für das Urbane ist der Kern Berliner Tradition bis heute; als Strenge und Sprödigkeit bemäntelt, wirkt er seitdem in einer seltsam graphisch-trockenen Auffassung von Architektur, die das Poetische doch nur wie eine papierne Blume beschwört, stets das Sublime will und stets das Banale schafft.

Nicht eine Krise der Objekte, der Architektur – wie Colin Rowe in collage city meint – hatte damals, und heute, Stadt verhindert, der Aufstand der Objekte, ihre armselige Selbstherrlichkeit hat Berlin in vielen zentralen Orten nicht in die Räume finden lassen: ‚öffentliche Lust ist wenig in Berlin‘, ‚östlich der Elbe beginnt die Russische Steppe‘, ‚Berliner Plätze sind gar keine‘, hiess es dazu schon vor hundert Jahren. Und dieses Defizit im Berliner Stadtraum – die Berliner ‚Grosszügigkeit‘ – setzt sich in trauriger Beharrlichkeit bis heute fort: zum Beispiel in der nicht nur mangelhaften, sondern völlig abwesenden Zentralität des sogenannten Kulturforums, zum Beispiel im Leugnen des Bundesforums im Spreebogen, wo ohne dieses Herz des politarchitektonischen Konzepts der stadträumliche Sinn der Spur des Bundes verschenkt und eine peinliche Fehlbeseelung des Kanzleramts unvermeidlich ist.
Berlin aber stellt sich taub zu dieser Kritik: ob also das Schloss in altem, modernem oder hybridem Gewand wiederauferstehen soll, darüber darf – noch, aber nicht mehr lange – gestritten werden, – der alte, kalte, untaugliche, trostlose Stadtgrundriss aber, – das hier schlechte Gedächtnis der Stadt, des Staats, wie es viel richtiger heissen würde – der soll so oder so zum Herzen Berlins gemacht werden, zum Herzen der Winde und der Restflächen.
Und machen wir uns nichts vor: weder der alte Schlossplatz wird in städtisch dichter Version wiedererstehen können, noch wird die Schlossfreiheit neu dazu erfunden werden, um die wilhelminisch-geltungskranke, kolossale Isolation des Schlossmonolithen zu dämpfen.
Auch unser Vorschlag zur Spreeinsel – seit ’93 immer wieder überdacht – zwischendurch auch mal dem berühmten Kollegen unterschoben, um gegenüber den Unberatenen Autorität zu behaupten – auch unser Vorschlag nimmt sich, wie schon immer hier im dürren Norden, die Inspiration aus dem Süden; aber nicht die Schinkel’sche Kopie der Objekte, sondern die stadträumliche Gestalt selbst ist Ausgangspunkt der Transformation ins Berlinische hinein, ist auch Kritik an der lokalpatriotischen Übertreibung: als wenn das Schloss der Raumspender im Herzen der Stadt je gewesen wäre – er war es nie, vor allem zum Lustgarten und zu den Linden war er es nicht.


Unser erster Gedanke damals – und bis heute -: die ‚dunkle Masse des Schlosses am Ende der Linden‘ ins Räumliche wandeln, aus Masse Raum machen, den Monolithen zerschlagen, erlösen. Mit einem Arrangement der drei Fragmente, der ‚Drei Schlösser‘, die Räume – und Orientierungen – finden, die Berlin mehr als irgendwo sonst zusammenhalten müssen. Die drei Plätze, so ‚italienisch‘ proportioniert wie sonst nichts in Berlin, geben die Grundlage für eine städtische Dichte und Intensität, die Walter Benjamin so sehnsuchtsweckend beschwört, die er erlebt hat in den Städten des Südens.
‚Ein neues Stück Stadt städtisch zu nutzen – sich nicht festlegen müssen auf alle Zeit – das macht die Qualität eines solchen Ortes aus‘ – so schrieb ich vor Jahren – und konnte nicht ahnen, dass mit dem Lehmann’schen Vorschlag zur Komplettierung der Museen auf der Insel auch die Inhalte so prächtig zueinander finden: der Grosse Schlossplatz – ein ‚Platz der Kulturen der Welt‘? – spiegelt sich hinüber in den grünen Raum des Lustgartens; der Schlüterhof am neuen, südlichen Platzende spiegelt sich im Alten Museum, ist vielleicht der Ort für die grossen Ausstellungen. Die Kunst und die Wissenschaft, – die alte und die neue, – welch besserer Nachfolger lässt sich denken auf einer Insel, von der sich nach den bittersten Lektionen eines allzu deutschen Jahrhunderts die Politik verabschieden musste.
Aber auch die kritischsten Geister sollten keine Angst haben vor einer Musealisierung der Insel, einer neuen Teilung Berlins durch eine Nutzung auf hohem Kothurn. Das Erdgeschoss der beiden Schlosshälften bleibt fest in Volkes Hand. Das Cafe Florian und alle seine polyglotten Brüder, alles, was Stadtlust zu befriedigen und aufzureizen vermag, mieten sich da hinein. Die beiden Hafenterrassen zur Spree und zum Kupfergraben mit ihren Vaporetti-Diensten von der Oberbaumbrücke bis zum Lehrter Bahnhof sind vom grossen Platz aus durch die Kolonnaden zu jeder Tages- und Nachtzeit zu erreichen.
Die Kosten standen noch jedem Schlossplatzkonzept auf den Füssen, schwer wie Blei. Und doch liegt die Lösung so nah: gibt man den vierhundert Millionen der ursprünglich geplanten Sanierung der Dahlemer Museen bei Verzicht auf die ‚Archäologische Promenade‘, die so entbehrliche, die dann freiwerdenden sechshundert Millionen DM dazu, ist die Insel schneller komplett, als sich die Berliner das je haben träumen lassen.


Soviel nur zum Wesentlichen, zur Hauptsache, zur stadträumlichen Substanz der Insel. Aber genau die gilt nichts in einer Zeit, in der die Architektur nur Kunst der Erinnerung und der Täuschung sein soll, in einer Zeit, die den hilflosen Glauben an das Neue durch den genauso hilflosen Glauben an das Alte ersetzt hat. ‚Gebt uns unser Schloss, unsere Liebe, unsere Illusion, gebt uns diesen Anker in der Verlorenheit einer Stadt, die nur ‚viele Städte‘ ist, – und lügt uns über den Sinn dieser Veranstaltung hinweg,. Gebt uns ein Phantasma von Identität – und schützt uns vor der Unfähigkeit unserer Architekten, vor den moralinsauren Bedenken der Historiker, vor der Wahrhaftigkeit vor unserer Geschichte.
Aber diese Debatte über die alte architektonische Fabulierkunst und Dekorfreude auf der Seite der Nostalgie und der im allerbesten Fall räumlichen Fülle auf der Seite der nach unten offenen Skala zeitgenössischer Baukunst: – diese Debatte ist sinnvoll nur an konkreten Alternativen zu führen. Wir haben deshalb, mit gutem, probeweise gutem Gewissen, einen Verrat an der eigenen Zeitgenossen-schaft hingenommen, um das räumliche Konzept auch für die Laien erlebbar, Schloss-vergleichbar, zu dokumentieren: wir haben die Schlüterhof-Fassade, die einzig urbane Fassade der Berliner Burg, im Sinne einer Beweisführung, einer Versinnlichung, einer Beseelung des Platzraumes aufgeboten; nicht etwa, um sozusagen auf die Schnelle Überzeugungsarbeit zu leisten, so etwas wie einen Durchbruch zu erzwingen, nein, viel bescheidener, – nur um zu zeigen, dass es sich lohnen würde, die Grosse Frage des Schlosses offen, offensiv zu betreiben.
Aber wie sagt Hegemann, 1930, über einen dem Andreas Schlüter unterstellten Entwurf zum Schlossplatz: ‚… dass dieser grossartige Platzentwurf (…) unausgeführt geblieben ist, gilt künstlerisch empfindenden Berlinern als die Tragödie der Berliner Stadtbaukunst. Wenn dieser herrliche Platz gebaut worden wäre, hätte Berlin den grossen künstlerischen Massstab besessen, der die weitere Entwicklung beherrscht und gesteigert haben müsste. Mit diesem Platz vor Augen hätten die Berliner sich nicht in dem unarchitektonischen Durcheinander verlieren können, das später über ihre Stadt hereingebrochen ist‘.
Aber damals und heute geht es um mehr, um viel mehr als um Architektenträume. Es geht um einen Platz höchster Zentralität, um die Mitte der Mitte, um den Salon der Stadt, wo Berlin, sich selbst in die Anschauung bringen könnte, wo Berlin sich feiern könnte, jenseits jeder Identitätstümelei, jenseits der offensichtlich unausrottbaren Berliner Schusterhaftigkeit.

Axel Schultes, Charlotte Frank (Axel Schultes Architekten, Berlin), 2001

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