Entwurf Max Dudler (2008)

Der Entwurf von Max Dudler für den internationalen Wettbewerb adressiert das in der Aufgabenstellung enthaltene Paradoxon: ein Gebäude zu errichten, das aussieht wie das Schloss, aber nicht das Schloss ist. Es wird gelöst, indem ein Haus entsteht, welches das Schloss repräsentiert. Während die Portale nach historischem Vorbild quasi als Spolien rekonstruiert werden, wird die übrige Fassade mit einem klassischen Bossenwerk versehen. Auch wenn u.a. die Lösung der Kuppel als tonnenartiges Bauteil nicht wirklich überzeugt, gibt der Entwurf auf zentrale Fragen der Ausschreibung interessante Antworten. Er wurde allerdings nicht prämiert, obgleich er zur zweiten Wettbewerbsphase zugelassen war.

Geschichte als schöpferische Kontinuität und Grundlage der Architektur

Wie in keiner anderen Form der architektonischen Auseinandersetzung mit Geschichte, verbindet sich in der Spolie, dem historischen Fragment, Leidenschaft und liebevolle Hingabe für das historische Detail mit einem genuin wissenschaftlichen Impetus. Die geistige Haltung, die Prinz Carl von Preußen und seinen Architekten, Karl Friedrich Schinkel, dazu bewog, seine Sammlung antiker Fundstücke in den Fassaden der Sommerresidenz Glienicke anzuordnen, entspringt einem Traum von Geschichte und ist doch zugleich ganz präzise und modern. Auf architektonischer Ebene korrespondiert dieses forschende Sammeln und Erschließen der Welt durch Artefakte dem zentralen Motiv der Werke der Gebrüder Humboldt und bildet auf symbolischer Ebene in hervorragender Weise die Funktion des Gebäudes als Haus bedeutender Sammlungen ab. Als klassischer Typus der Inkorporation von materieller Geschichte in eine architektonische Ordnung, bildet die Idee der Spolie die Leitidee des Wettbewerbsbeitrags zum Bau des Humboldt-Forums. In diesem Berüh-rungspunkt von Leidenschaft und Wissenschaft sehen wir eine Chance, die zwei wesentlichen Anforderungen des gesellschaftlichen Auftrags zur Wiedererrichtung des Schlosses zu erfüllen. Also einerseits ein Gebäude zu errichten, welches die Geschichte des Ortes – das historische Berliner Schloss – an diesem zentralen Ort für die Stadt und ihre Bürger wiedererstehen lässt und zugleich ein Haus zu entwerfen, welches dem Humboldtschen Anspruch für die Moderne gerecht werden kann; mithin ein Gebäude, das in seiner Nutzung aber auch Ausstrahlung die Stadt in moderner Weise festlich repräsentiert.

 

Rekonstruktion
Das in der Aufgabenstellung enthaltene Paradoxon: ein Gebäude zu errichten, das aussieht wie das Schloss, aber nicht das Schloss ist, wird gelöst, indem ein Haus entsteht, welches das Schloss repräsentiert. Als Zitat des untergegangenen Barockbaus werden die historischen Portale als Rekonstruktionen in einem Baukörper in der Stereometrie des ehemaligen Berliner Schlosses wie Gemmen eingesetzt. Der spreeseitige Gebäudeflügel zeichnet auf der Lindenseite die Kontur des Apothekerflügels in vereinfachter Form im Stadtgrundriss nach. Auf diese Weise erhält die Straße Unter den Linden mit der Platzfolge Schloßfreiheit und Lustgarten einen Abschluss. Auch eine mögliche zukünftige Bebauung des Marx-Engels-Forums bleibt so möglich. Als Erinnerung an den ältesten Teil des Schlosses wird vorgeschlagen, in den spreeseitigen Teil des Gebäudes ebenfalls ein Stück der historischen Fassade einzufügen.

In Analogie zur grundlegenden Fragestellung des Architekten Mies van der Rohes, der auf der Suche nach einem Ausgleich zwischen Empirismus und Idealismus nach Formen suchte, die immer als technische Konstruktion und zugleich als architektonische Ordnung und Gestalt lesbar sind, erfordert die Gestaltung der neuen Fassade eine Ausbildung, die auf der Grenze zwischen (moderner) Struktur und klassischer Ordnung angesiedelt ist, gewissermaßen an der Grenze zum Klassizismus.

Als Transformation der Textur eines Bossenwerks als dem Grundmodus der Fassadenbekleidungen des klassischen Zeitalters und seiner Theorie der Repräsentation, bildet ein dachförmiges, plastisches Fassadenmodul den Ausgangspunkt der Gestaltung. Die Kirche Gesù Nouvo in Neapel zeigt als historische Referenz einer Verbindung von Elementen unterschiedlicher stilistischer Her-kunft eine Fassade, in der in den Fond eines Diamantquaderwerks aus der Renaissance Fassa-denelemente des Barockzeitalters eingefügt sind. Zur weiteren Differenzierung der Schlossfassade verleiht der Versatz der Steinschichten, welche sich in der Höhenentwicklung auf die historische Gliederung der Barockfassade beziehen, der Fassade die Andeutung einer klassischen horizontalen und vertikalen Gliederung, als dem zweiten grundlegenden Ursprung der historischen Fassa-dengestaltung. Ein feines Gewebe überzieht als festliche Bekleidung das Volumen des Humboldt-Forums. Das Gesamte Gebäude besteht durchgehend aus einem Material, in der Art wie es die Romanik gesehen hat. Es entsteht eine würdevolle Fassade, welche mit zeitgenössischen Mitteln die historische Fassade nachschöpft. In diesem Sinne lässt sich sagen, dass die Wiedererrichtung der Schlossfassade „tatsächlich längst verloren geglaubte kulturelle Werte zurück“ bringt (Auslobung).

Monument des öffentlichen Danke
Wenn ich mir ein Volk von sensiblen und großzügigen Menschen vorstelle, das von Männern regiert wird, die zu Recht Schutzherren des Vaterlandes genannt werden, dann muss ich mir die-ses Volk auch vorstellen, wie es eifrig darum bemüht ist, seinen Wohltätern sichtbare Beweise seiner liebe und Dankbarkeit zu geben; ich wage zu behaupten, dass dieses Volk in einem Monu-ment seinen Gefühlen Ausdruck und der Nachwelt ein Zeugnis hinterlassen will. Das ist leicht zu verstehen, aber wie schwer es ist, all das zu beschreiben, was man von der schönen Bezeichnung Monument der öffentlichen Dankbarkeit erwarten kann.
Meiner Meinung nach müsste man für dieses Monument einen Ort wählen, der durch den Anblick aller Schönheiten der Natur und alles dessen, was zur Erhaltung des Lebens nötig ist, allen Besu-chern zuzurufen scheint: Hier liegen vor euch alle Reichtümer, mit denen das Volk das Leben seiner Wohltäter erhalten und verschönern will.
Und an wen würde sich das Volk wenden, um derartige Pläne zu verwirklichen? Wem kann eine so edle und würdige Aufgabe zufallen? Der Architektur. Der Architekt ist dafür zuständig, einen Ort auszuwählen, der geeignet ist, alle Schönheiten die in der Natur verstreut sind, wie in einem Museum versammelt aufzuzeigen; ein Ort, der darüber hinaus alles besitzt, was zur Verlängerung des Lebens dient, da alles Nützliche sich dort vereint findet. Schließlich wäre es die Kunst, der Archi-tektur, die an diesem schönen Ort ihre ganze Macht entfalten könnte, die darin besteht, die Natur in ihrem Werk zum sichtbaren Ausdruck zu bringen (mettre la nature en oeuvre). (…)

Etienne-Louis Boullée, Architektur, Abhandlung über die Kunst


Städtebau
Das Humboldt-Forum -in Kontur und Kubatur dem Berliner Stadtschloss gleichend- wird mit seinen Nutzungen wie den Sammlungen für die außereuropäische Kunst und Kulturen, den Wissenschaftssammlungen der Humboldt-Universität und der Zentral- und Landesbibliothek zu einem öffentlichen, publikumsbezogenen Gebäude und dies in einem weitaus intensiveren Umfang, als es das Stadtschloss je war.

Das Humboldt-Forum wird stadträumlich und inhaltlich zum südlichen Abschluss der Museumsin-sel. Die Besucherströme bewegen sich zwischen dem Alten Museum und dem Humboldt-Forum in Nord-Süd-Richtung durch einen an drei Seiten von Gebäuden definierten Raum, der mit der neuen Architektur es ehemaligen Apothekerflügels nach Osten eine Fassung erhält.

Es erscheint daher zwingend, den Neptunbrunnen von seinem jetzigen Standort an der Marienkirche zu seinem eigentlichen auf den Schlossplatz vor dem Portal II zu translozieren.
Er wird Anfangs- oder Endpunkt des baulichen Ensembles Museumsinsel und stellt mit den Rossebändigern vor dem Portal IV, dem Brunnen im Lustgarten und der großen Granitschale vor dem Alten Museum das skulpturale Programm des öffentlichen Raumes wieder her.
Die Schlossterrassen an der Nordfassade des Humboldt-Forums als Pendant zur monumentalen Freitreppe des Alten Museums dienen nicht nur wie ursprünglich dem Ausgleich des unebenen Terrains, sondern schaffen eine eindeutige Topografie dieses Raumes. Der Lustgarten wird erleb-bar zum tiefsten Punkt in Nord-Süd-Richtung zwischen Altem Museum und Humboldt-Forum.
An der Spreeseite führt ein Weg ebenerdig längs der Fassade des neuen Ostflügels. Gleichzeitig wird über eine zweiläufige Treppenanlage und eine weitere Treppe ein Bootsanleger auf Wasser-niveau erreicht. Diese Inszenierung folgt der historischen Situation und findet ihre Entsprechung an der Ostseite des Domes.
Die Schlossfreiheit präsentiert sich bis zum Kupfergraben als niveaugleiche Fläche. Das Funda-ment des Nationaldenkmals wird erhalten; seine endgültige Gestalt im Rahmen des Wettbewerbs für ein neues Nationaldenkmal bestimmt. Von der Straße Unter den Linden kommend präsentiert sich die Westfassade des Humboldt-Forums mit der Kuppel uneingeschränkt den Blicken.
An der Schlossfreiheit und dem Schlossplatz werden in einer verkehrlich optimierten Form und ohne die Portale zu verstellen Vorfahrten für Reisebusse vorgesehen.


Nutzung
Die Erschließung des Gebäudes erfolgt im Anschluss an die Idee einer Gebäudedramaturgie über die Portale IV (Unter den Linden) II (Schlossplatz) und III (Schlossfreiheit). Der Eosanderhof bildet als offenes Karree die Agora des Museums mit der großzügigen Eingangshalle zwischen Schlüter- und Eosanderhof, von der aus über drei Geschosse alle Einrichtungen des Hauses zugänglich sind. Der Schlüterhof ist als Museumsbereich nur intern zugänglich. Der Agora – Gedanke wird nicht, wie im Kulturforum am Potsdamer Platz als eine Art Kultur-Mall verstanden, sondern als Fortführung des jederzeit zugänglichen, öffentlichen Raums mit entsprechenden städtischen Nut-zungen, wie dem Museumsshop und dem Bistro. Im Erdgeschoss des östlichen Flügels sind als außerdem die Räume für die temporären Sonderausstellungen aller Partner untergebracht. Hier befindet sich ein Lapidarium mit den Originalen Schlüterskulpturen und -Fragmenten. Die Darstellung der realen Geschichte des Schlosses erfolgt hier durch Einbeziehung der durch ein „archäologisches Fenster“ mit Bezug zu den im Untergeschoss freigelegten Fundamenten geschaffen.

Nach dem Vorbild der Alten Pinakothek in München erschließt eine monumentale Himmelstreppe in der Eingangshalle die Bereiche des Humboldt-Forums: im 1.OG die Sammlungen des Ethnologischen Museums, die Auditorien, und das das Restaurant der Kontinente, im 2. OG die Räume der Zentral- und Landesbibliothek, im 3.OG die Außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin (EM und AKU sind über den spreeseitigen Flügel verbunden, ein gesonderter Zugang ist nicht zwingend erforderlich) und den Konzeptraum. Im Untergeschoss der Eingangshal-le befinden sich die Serviceräume Garderoben und WCs ebenso wie die Zugänge von der U-Bahn und der Bibliothek in der Breiten Straße.

Sowohl die Räume der Sammlungen (EM und AKU) als auch die Bibliothek (ZLB) gruppieren sich um den vollständig rekonstruierten Schlüterhof, wobei die sehr hohen Raumfolgen der Sammlun-gen im spreeseitigen Gebäudeteil entlang einer Spange der gläsernen Archiven angeordnet sind und die sog. Werkstätten des Wissen den Ost- und Westflügel belegen. Auf diese Weise ist es möglich die historischen Raumhöhen im gesamten südlichen Teil des Gebäudes beizubehalten. Lediglich In räumlicher Nähe der Erschließungskerne und im Bereich von dienenden Räumen, wie Küchen, Backstage und dem Buchladen wurde die Geschossigkeit halbiert um Raum zu gewinnen. Mit Ausnahme dieser Flächen ist eine vollkommen flexible Nutzung und Aufteilung der Flächen möglich. Im Rahmen des Konzepts der Rekonstruktion der Portalgebäude schlagen wir vor, die in diesen Bereichen befindlichen Innenräume (Rittersaal, Schweizer Saal, Elisabethsaal) originalgetreu zu rekonstruieren. In der Enfilade der Museumsräume markieren diese Räume den Übergang von den „Werkstätten des Wissens“ zu den Sammlungen und dienen gleichzeitig als Beleg der innenräumlichen Erscheinung der Architektur des historischen Schlosses. Der Raum unterhalb der nachgeschöpften Kuppel soll als Kuppelsaal etwa für Konzerte genutzt werden. Diesem Raum wird im Anschluss an das Restaurant der Kulturen ein eigenes Foyer zugeordnet.

 

 

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