Eine Residenz der Kälte

Die halb modernen Pläne für den Bau des Berliner Schlosses sind desaströs, meint der Architekturkritiker der ZEIT, Hanno Rauterberg in seiner scharfen Kritik des Entwurfes von Franco Stella. Dann doch lieber die Totalrekonstruktion. 

Was mag das bedeuten? Da wollen sich die Deutschen ein neues Kulturhaus bauen, so groß und stolz wie keines zuvor. Ein Schloss für die Kultur, ein Nationalsymbol, Hunderte Millionen Euro teuer. Doch als nach langem Zank und ewigen Beratungen endlich der architektonische Entwurf enthüllt wird, da zeigt sich – ein Monument der Ängstlichkeit.
Der Architekt dieses Monuments heißt Franco Stella, ist 65 und betreibt in Vicenza ein kleines Büro. Er hat sich schon an vielen größeren Wettbewerben beteiligt, doch noch nie einen wichtigen Auftrag gewonnen. Dass nun ausgerechnet er auf dem Berliner Schlossplatz das viel diskutierte Humboldt-Forum bauen darf, ist also eine Überraschung – und zwar eine böse. Denn sein Entwurf ist auf desaströse Weise engherzig und mutlos.
Er ist ähnlich engherzig und mutlos wie so viele jener Deutschen, die zwar nicht davor zurückschrecken, sich selbst in der Finanzkrise diesen Mammutbau leisten zu wollen. Deren Zutrauen in die gestalterischen Fähigkeiten der Gegenwart aber derart schwach ist, dass sie lieber Zuflucht bei historischen Vorbildern suchen, bei einer Geschichte, die längst verloren ist.
Dabei hätte es sie nichts gekostet, unter den Architekten der Gegenwart den besten Entwurf für das Humboldt-Forum zu ermitteln. Wäre dieser beste Entwurf nicht besser gewesen als das alte Barockschloss, dann hätte man immer noch für den Wiederaufbau des Alten gestimmt. Doch diese innere Freiheit wollen sich die Deutschen des Jahres 2008 nicht nehmen, sie wollen sich auf nichts Neues einlassen, nicht einmal in Gedanken.
Stellas Entwurf, der von 2010 an gebaut werden soll, verkörpert diese Furchtsamkeit auf idealtypische Weise. Pflichtschuldig erfüllt er die Forderung des Bundestags, sämtliche barocken Innen- und Außenfassaden des 1950 abgerissenen Schlosses neu entstehen zu lassen. Selbst die Kuppel, deren Rekonstruktion nicht ausdrücklich verlangt war, soll treu in den Formen des 19. Jahrhunderts wiederkehren. Und doch sind nicht diese nachgebauten Teile das eigentliche Problem des Entwurfs. Denn weit ahistorischer noch wirken jene Bauabschnitte, die Stella eigenhändig gestaltet hat.
Schon die italienischen Faschisten konnten sich für diesen Stil begeistern
So stellt er beispielsweise an die Ostseite des Schlosses, die einst ein wildes, heute unrekonstruierbares Durcheinander aus Gotik, Renaissance und Historismus war, einen streng gerasterten Riesenriegel, eine Fassade, die vor Selbstbewusstsein zu strotzen scheint – und doch ebenfalls nur von großer Hilf- und Haltlosigkeit kündet. Stellas Fassaden sehen aus, als hätte jemand dem alten Schloss jede Verspieltheit und alle skulpturalen Lustbarkeiten abgehämmert, als sollte nur der konstruktive Kern übrig bleiben, das wahre Innere. Dass diese Art der Abstraktion furchtbar kalt und leblos wirkt, stört Stella nicht. Ihm geht es um Logik, er sucht nach Essenz, nach einer Architektur, die etwas verkörpert, das immer war und immer sein wird.
Geprägt ist Stellas Denken vor allem durch die sogenannte Architektur des italienischen Rationalismus, die in den zwanziger Jahren entstand und bald zum Staatsstil der dortigen Faschisten aufstieg. Von diesen Ideologien hat sich der razionalismo von heute längst gelöst, niemand würde Stellas Architektur faschistisch nennen. Doch etwas Totalitäres, der entschiedene Wille zur Allgültigkeit, hängt ihm doch an. Und so lautet auch die Botschaft seiner Architektur für den Schlossplatz: Hier gibt es keine Suche, keinen Zweifel, hier gibt es ewiges Sein.
In Deutschland fand diese Denkschule vor allem in Oswald Mathias Ungers einen glühenden Anhänger. Viele seiner gestrengen Bauten erzählen von der fast schon verzweifelten Sehnsucht nach Halt. Er baute an einem verbindlichen Ordnungsgefüge, um die Pluralität der Moderne überwinden zu können. Nun ist Ungers voriges Jahr gestorben, und doch ist er der eigentliche Sieger des Wettbewerbs. Seiner Architektur, die alle Unsicherheiten wegrastert und sich über jede historische Verwerfung erhebt, folgt Franco Stella und durchzieht damit auch das Innere des Humboldt-Forums.
Hinein gelangt man durch das barocke Portal, findet sich dann aber wieder in einer schmalen Gasse, die das Gebäude von Nord nach Süd durchzieht. So will Stella dem Schloss einen etwas offeneren Charakter verleihen. Doch ist die Gasse derart monoton und karg gestaltet, dass sich die Besucher rasch in die beiden Schlosshöfe flüchten werden. Selbst dort aber konfrontiert Stella die barocke Üppigkeit mit seiner Askesekunst – und so wird sich jeder Besucher des Stella-Schlosses eindringlich wünschen, der Architekt hätte besser das ganze alte Bauwerk nachgebaut, auch jene Teile, die sich nicht rekonstruieren lassen. Denn alles ist besser als Stellas aseptischer Hyperperfektionismus. Die Wettbewerbsjury muss blind gewesen sein, als sie ihn ehrte.
Sie war aber nicht blind, sie war nur ebenfalls ängstlich. Stella wurde erst zum Favoriten, als es darum ging, noch abstrusere Vorschläge, etwa die von Hans Kollhoff, zu verhindern, und man nach einem Kompromisskandidaten suchte, dessen Architektur eine gewisse Verlässlichkeit zu versprechen schien. Stellas formale Stringenz überzeugte, so wie Ungers einst mit seiner Stringenz in vielen Wettbewerben zu überzeugen wusste, auch wenn heute seine Museen als missglückt gelten und niemand sich darin wohlfühlt.
Am Ende war die Jury vor allem froh, sich überhaupt einigen zu können – und störte sich nicht daran, dass Stellas Entwurf mehr Probleme schafft, als er löst. So braucht das Humboldt-Forum nichts dringlicher als ein großes Entree, eine Agora, um die drei sehr unterschiedlichen Nutzer des Gebäudes miteinander zu verbinden. Doch einen solchen gemeinschaftsstiftenden Raum, von dem aus der Besucher sich alle drei Bereiche erschließen könnte, gibt es nicht. Den Eosander-Hof, der so ein Raum sein könnte, stellt Stella mit zwei Baukörpern zu.
Ähnlich problematisch ist auch das, was Stella sein Belvedere nennt, eine Art offenes Treppenhaus an der Ostfassade. Die Besucher sollen darin herumwandeln und Ausschau halten, auf diese Weise will Stella das Schloss zugänglicher machen. Doch anders als etwa in der Reichstagskuppel, die sich über eine Spindel erwandern lässt, bleibt hier die räumliche Erfahrung statisch. Nichts verbindet das Belvedere mit dem Humboldt-Forum als einige Notausgänge.

Es hätte auch eine Alternative gegeben, doch die bekam nur den Trostpreis
Stellas ungemein rigider Rationalismus, das zeigt sich hier, ist eben nicht nur in seiner Ästhetik und Ideologie befremdlich. Seine Architektur fremdelt auch räumlich, ihr gelingt kein spannungsvolles Wechselspiel, in dem sich Tradition und Gegenwart gegenseitig befruchten könnten. Norman Foster hat mit seiner Reichstagskuppel vorgeführt, wie das gehen kann. Er bewies, dass die Moderne keineswegs so seelenlos und geschichtsvergessen sein muss, wie viele Schlossfreunde immer wieder polemisch anmerken.
Auch in dem Wettbewerb für das Humboldt-Forum gibt es einige Entwürfe, die zumindest ahnen lassen, welche Spielräume hier möglich wären. Vor allem die Pläne des jungen Büros Kuehn Malvezzi, das aus formaljuristischen Gründen nur einen Sonderpreis erhielt, brechen mit dem gravitätischen Ernst der Bauaufgabe, ohne sie ins Lächerliche zu ziehen. Sie öffnen den Schlossblock, sodass viele Zugänge in den Schlüterhof führen und ein gemeinsamer Empfangsraum entsteht. Auch schlagen Kuehn Malvezzi vor, die Fassaden zunächst aus Ziegelsteinen aufzubauen und erst sukzessive mit barocken Ornamenten zu schmücken. So hätten die Fassaden Zeit zu wachsen, die Gefahr wäre geringer, dass am Ende das Schloss aussieht wie die benachbarte Kommandantur, eine aseptische Instant-Kopie.
Doch für eine derart dialektische Gestaltung der Schlosssehnsüchte, für einen reflektierten Umgang mit der Geschichte, der ja eigentlich der einzig angemessene sein kann für dieses Haus, das ein Museum beherbergen soll, einen Ort also, der die Vergangenheit nicht idealisieren soll, wie es Stella versucht, sondern das Gewesene offen und streitbar diskutieren will – für all das fehlte der Jury der Mut. Niemand wird mit Stellas Plänen am Ende glücklich sein, nicht die Schlossfreunde und nicht die Freunde der Gegenwartsarchitektur.
Doch wer weiß, vielleicht bleibt es ja nicht bei diesem Entwurf. Schon öfter in der jüngeren Baugeschichte wurden erstplatzierte Modelle nicht gebaut. Manchmal, wenn der Unmut allzu deutlich war, griff sogar der Kanzler selbst ein und verlangte neue Entwürfe, beim Holocaust-Mahnmal etwa. Bis zum 21. Dezember werden nun alle Humboldt-Pläne im Kronprinzenpalast ausgestellt, endlich dürfen sich die Bürger darüberbeugen. Das heißt, sie dürfen ihre Kritik kundtun. Und dürften sogar verlangen, alle Ängstlichkeit zu überwinden und es noch einmal zu versuchen – mit einem Monument des Mutes.

Erstmals veröffentlich in DIE ZEIT, 04.12.2008 Nr. 5. Wiederveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors. In DIE ZEIT vom 18.12.2008 ist auf diesen Text eine Erwiderung von Hans Stimmann veröffentlicht. Stimmann ist mit Franco Stella freundschaftlich verbunden und hat ihn am Tag des Preisgerichtes gerade in Vicenza besucht. So rief dann – nach Informationen von Journalisten – auch Bauminister Tiefensee Hans Stimmann auf seinem Mobiltelefon an, um Franco Stella zu erreichen und ihn über seinen Wettbewerbssieg zu informieren.

 

 

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