Traumatisierte Politiker und die Zerstörung von Geschichte

Nach der Wettbewerbsentscheidung führte Stefanie Dörre vom Berliner Stadtmagazin Tip ein Gespräch mit Philipp Oswalt über das Wettbewerbsverfahren, den Entwurf von Franco Stella und die Zukunft des Ortes

Tip: Herr Oswalt, wann haben Sie da letzte Mal überlegt aufzugeben?

PO: Für mich geht es nicht allein um die Frage, ob wir Kritiker uns durchsetzen und den Beschluss kippen können. Mir geht es darum, eine intelligente und hinter die Oberfläche gehende Diskussion zu erzwingen. Ich bin seit 2002 dem Thema beschäftigt, und seit der Zeit wird diese Debatte extrem polarisiert, fast im Gestus des kalten Krieges geführt. Wer Zweifel oder Widerspruch äußert, wird in eine Fundamentalopposition gebracht. Deswegen sind Zwischentöne, Alternativen, Abweichungen überhaupt nicht diskutabel.

Tip: Seit dem Bundestagsbeschluss von 2007, der festgelegt hat, wie die Rekonstruktion aussehen soll, ist daran doch nichts mehr zu rütteln.

PO: Meine Einschätzungen diesbezüglich schwanken, ob daran nicht mehr zu rütteln ist, oder ob das Projekt auf doch auf wackligen Beinen steht. Es ist völlig klar, dass der heutige Bundestag sehr entschlossen ist, das Projekt schnell zu realisieren. Andererseits ist auch klar, dass das Projekt gesellschaftlich umstritten ist. Und das ist etwas pikant bei einem Vorhaben, das Identität stiftend sein soll. Zweitens ist das Projekt in fachlichen Fragen noch sehr diffus. Deshalb wird es auch immer wieder neue Schwierigkeiten in seiner Realisierung geben.

Tip: Wie beurteilen Sie den Siegerentwurf von Franco Stella.

PO: Er spitzt für mich das Schlossproblem in dem Sinne zu, dass der Entwurf die Geschichte bis zu einem Punkt idealisiert, an dem der Ort seine historisch gewachsene Dimension verliert. Das barocke Schloss hatte sich über einige Jahrzehnte entwickelt, es gab einen ersten Bauabschnitt von Schlüter, der dann später von Eosander erweitert wurde. Das konnte man an dem ursprünglichen Gebäude ablesen. Das verschwindet in Stellas Idealisierung und weitergeführten Symmetrisierung des historischen Vorläufers. Im Namen von Geschichte wird Geschichte eliminiert.

TIP: Warum gibt es dieses Bedürfnis, Geschichte zu eliminieren?

PO: Das 20 Jahrhundert war für Deutschland eine teilweise faszinierende und produktive, aber vielfach auch eine sehr problematische und zum Teil absolut abgründige Zeit. Das Agieren am Schlossplatz steht auch für die Sehnsucht, eine andere deutsche Vergangenheit zu entwerfen, das 20. Jahrhundert an diesem Ort aus dem historischen Gedächtnis zu nehmen und direkt im 19. wieder anzuknüpfen. Die Politikergeneration, mit der wir es zu tun haben, ist in Ost wie West vom Mauerbau traumatisiert. Die Vehemenz, mit der das Projekt verfolgt wird, kann ich mir nur aus dieser Traumatisierung erklären. Man bringt keine historische Distanz zum dem Phänomen auf.

Tip: Trotz Ihrer Kritik, das Votum der Jury für den Stella-Entwurf war einstimmig.

PO: Aber auch das Votum für den mit 60.000 Euro dotierten Sonderpreis war einstimmig. Einige der Fachpreisrichter hatten im Vorfeld die Bedingungen der Ausschreibung kritisiert. Meinem Verständnis nach war der Sonderpreis der Favorit der Jury. Der Erstprämierte ist die perfekte Umsetzung der Ausschreibung, daran war sie gebunden. Der Sonderpreis weicht davon bezüglich der Kuppel ab und ist deswegen nicht als regulärer Preisträger denkbar. Die Jury hat zwei Entwürfe nach vorne gestellt, um zwei Optionen zur Diskussion zu stellen. Das ist für mich das Ergebnis des Wettbewerbs.

Tip: Sind sie in der Architektur generell gegen Rekonstruktion?

PO: Nein, denn das wäre kompletter Unsinn. Es gibt eine Tradition der Rekonstruktion spätestens nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg, und es gibt sehr gute Entwürfe von modernen Architekten für Rekonstruktionsaufgaben. Die Tragik dieses Wettbewerbes ist, dass die meisten für eine solche Aufgabe geeigneten Architekten erst gar nicht teilgenommen haben. Es ist für so eine bedeutende Bauaufgabe skurril, dass man eine Auslobung wählt, mit der man diejenigen ausschließt, die als die großen Vertreter ihrer Kunst angesehen werden.

Tip: Dass die Stararchitekten sich nicht beworben haben heißt Ihrer Meinung nach, dass sie die Vorgaben ablehnen.

PO: Nur 85 Architekten waren bereit, einen Entwurf einzureichen. Das ist ein absolutes Desaster und ein sehr klares Statement der Architektenschaft. Die alternative Option zum Wettbewerb wäre nicht gewesen Rekonstruktion zu verbieten, sondern es in einem Wettbewerb der Ideen offen zu halten, was und wie Architekten rekonstruieren. Es gab auch alternative Entwürfe, zum Beispiel von Schultes, der das historische Material nehmen und es rekonfigurieren wollte. Rekonstruieren ist ein kultureller Vorgang. Wir sind nie in der Lage, das Original zu wiederholen, es ist immer etwas anderes, und wir müssen mit dieser Differenz bewusst umgehen.

Tip: Nach dem Krieg wurde viel wieder aufgebaut, und das war auch gut so.

PO: Der Rekonstruktionswunsch im Falle des Stadtschlosses wird in der Regel von Menschen verfolgt, die das ursprüngliche Gebäude nicht gesehen haben. Das Schloss wurde vor jetzt bald 60 Jahre gesprengt. Die Erfahrung des Gebäudes ist im Wesentlichen medial vermittelt. Die Rekonstruktion erfolgt aus Fotografien, es ist die Geburt der Architektur aus der Fotografie. Und sie ist primär für die mediale Rezeption gedacht. Es ist kein Zufall, dass es um die Außenfassade geht. Es geht um das Außenbild, das sich dann in den Fotografien der Touristen und in den Videobildern der Fernsehanstalten wiederfindet. So wie der Pariser Platz zum Fernsehstudio der Hauptstadt geworden ist.

Tip: Aber auch moderne Architektur wird fotografiert und ist ein Bildlieferant.

PO: Ja, dafür ist Guggenheim Bilbao ein extremes Beispiel. Das Irritierende am Stadtschloss ist, das wir eigentlich bislang über ein Fassadenprojekt sprechen. Man will diesen Ort gestalten, man will über ein halbe Milliarde Euro ausgeben, doch das Nutzungskonzept hinter dieser Fassade wurde schon einmal ausgetauscht. Es gab in den späten 90er Jahren das Investoren-Bieterverfahren für eine Privatnutzung mit Konferenz, Hotel und ein bisschen Kultur. Jetzt gibt es das Humboldt-Forum, das in der öffentlichen Debatte zunehmend auf wackligen Beinen steht und eventuell durch die Gemäldegalerie ersetzt werden soll. Meine Kritik ist, dass man so einen bedeutenden Ort zuerst als Bild und nicht von seiner Nutzung her versteht.

Tip; Wenn Sie alles auf Null stellen könnten, was wünschen Sie sich für diesen Ort?

PO: Meine Idealvorstellung ist eine bedeutende Bibliothek, weil sie eine andere Öffentlichkeit an den Ort bringen würde. Ich finde die Konzentration von Museen und der damit verbundenen Schaffung eines Touristen-Ghettos problematisch.

Tip: Sie wünschen sich kein ausschließlich modernes Gebäude an diesem Ort?

PO: Letztendlich wird jeder Entwurf an diesem Ort ein Hybrid sein. Die meisten Architekten haben ein Interesse, sich auf die Baugeschichte dieses Ortes zu beziehen. Die Frage ist, in welcher Form. Auch der Entwurf von Franco Stella ist ein Hybrid aus einer Rekonstruktion und einem modernen Teil, der sich als solcher deutlich zu erkennen gibt, der aber so modern ist wie die Investorenarchitektur der 90er Jahre. Bei der Ostfassade aber auch in den Innenhöfen kommt ein unpoetischer Rationalismus zum Tragen, der etwas stur und seriell ist.

Tip: Wie steht der Entwurf von Stella zu den umliegenden Plätzen und Gebäuden?

PO: Es ist ein Irrtum zum glauben, wenn man rekonstruiert, hat man automatisch einen guten Städtebau. Der Stadtraum hat sich an der Stelle in den letzten 200 Jahren massiv verändert. Historisch war das Schloss nicht so sehr ein Solitärbau, wie in Stellas Entwurf, sondern durchaus mit der Stadt verwoben. Es gab den Apothekerflügel, es gab die Bebauung der Schlossfreiheit. Das waren Elemente, die das Schloss in den städtischen Kontext eingegliedert haben. Die Achse Unter den Linden ist jenseits der Festungsmauern entstanden, als die Neustadt, und erst nachdem man die Festung schleifte, kam die Blickbeziehung zum Schloss zustande.

Tip: Damals ging keine Straße am Schloss vorbei, wie jetzt die Karl-Liebknecht-Straße?

PO: Nein, das Schloss war komplett anders orientiert. Als Schlüter es gebaut hat, war es nach Süden ausgerichtet, dort wo heute das Staatsratsgebäude ist. Dann gab es im 19. Jahrhundert mit dem Bau der Kuppel und schon vorher mit dem Bau des Portals durch Eosander eine West-Orientierung. Man hatte den Haupteingang nach Westen gelegt mit diesem hässlichen Portal. Während Schlüter ja wirklich ein begnadeter Architekt war, kommen einem bei Eosander doch Zweifel. Noch schlimmer wird es beim Dom. Der ist eine einzige Hässlichkeit des Wilhelminismus und wurde schon von vielen Zeitgenossen so gesehen.

Tip: Und die Straßenführung?

PO: Der Straßendurchbruch am Lustgarten kam erst im späten 19. Jahrhundert. Vorher war der Lustgarten der Garten des Schlosses an dessen Rückseite. Was aber noch viel wichtiger ist: Das Schloss wurde nicht als öffentlicher Bau entworfen. Das führt dazu, dass es introvertiert, beispielsweise beginnen die Fenster erst bei drei Metern Höhe. Das Gebäude erlaubt von außen keine Einblicke. Man betritt es wie eine Shopping-Mall durch die Portale, und es erschließt sich von Innen. Das ist für eine zentrale öffentliche Nutzung problematisch.

Tip: Wie passt das ins Ensemble der Bauten?

PO: Das alte Museum von Schinkel hat eine grandiose Loggia und Freitreppe, es öffnet sich zur Stadt hin. Die Staatsoper hat das Foyer, das sich zum Bürgersteig hin öffnet. Das sind Gesten einer bürgerlichen Öffentlichkeit, die den kulturellen Ort in das Gewebe der Stadt bringen. Der steinerne Kasten des Schlosses aber tut genau das Gegenteil. Die städtebauliche Verzahnung ist in dem Entwurf von Stella nicht angelegt.

Tip: Was denken Sie über den vom Bundesbauminister Tiefensee vorgestellten Zeitplan für den Bau?

PO: Ich glaube nicht, dass man in nur drei bis fünf Jahren ein sogenanntes Meisterwerk abendländischer Baukunst, das über Jahrzehnte entstanden ist, wieder entstehen lassen kann. Die Vorstellung vom Instant-Barock ist eine Anmaßung. Das Berliner Schloss ist ein sehr großes Gebäude, größer als das Sony Center und wesentlich größer als irgendeine Rekonstruktion, die in Deutschland je stattgefunden hat. Am Neuen Palais in Potsdam, von dem Experten sagen, es habe ein gleiches Ausmaß an bildhauerischen Arbeiten wie das Stadtschloss, haben 200 Bildhauer über neun Jahre gearbeitet.

Tip: 2010 soll mit dem Bau begonnen werden. Was meine Sie, wie es weitergeht?

PO: Ich habe vor kurzem Einblick genommen in Papiere beim Senat. Es gab schon 2005 eine Arbeitgruppe mit Bauministerium, Senat und Wilhelm von Boddien, die intern feststellte, frühester Baubeginn ist 2011/2012, während öffentlich von 2007 geredet wurde, um den vorgezogenen Palastabrisses zu begründen. Das zeigt den Umgang in der Debatte: Bei Fakten zum Projektes – ob Zeitplan, Nutzung, Finanzierung oder Kosten – wird die Öffentlichkeit konsequent belogen. Es ist absolut ausgeschlossen, dass das Stadtschloss wie angekündigt 2013 fertig ist.

 

Zuerst veröffentlich im Berliner Stadtmagazin Tip vom 9.12.2008

 

 

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