Stella, Stimmann, Sattler und „die geistige Mitte der Nation“?

Hier eine präzise und kritische Analyse der Entwürfe des Wettbewerbes durch den Architekten J.Jenatsch. Leider hat in der bisherigen Medienberichterstattung eine solch gründliche Betrachtung gefehlt. Nun wird sie hier endlich nachgeholt.

Nach einer ungewöhnlich hohen Präsenz in den Nachrichtenmedien, einer überwiegend kritischen Aufnahme in zahlreichen Feuilletons und einer teilweise vernichtenden Kommentierung in der Fachpresse, ist schnell, allzu schnell Ruhe eingekehrt. Eine wirkliche Debatte will nicht entstehen. Möglich, dass der Öffentlichkeit das Thema „Berliner Schloss-Rekonstruktion“ nach rund 15 Jahren zum Hals heraushängt: Nun baut doch endlich, baut was ihr wollt, aber lasst uns damit in Ruhe…

Im zeitlichen Zusammentreffen der Wettbewerbsentscheidung und der Finanzkrise relativieren sich üerdies die exorbitanten Baukosten, und das Projekt wird zum willkommenen Bestandteil des staatlichen Investitionsprogramms.

Nach wie vor, nein: Mehr denn je gibt es aber gute Gründe dem Projekt kritisch gegenüber zustehen. Glaubt wirklich eine Mehrheit der Menschen außerhalb des Deutschen Bundestags, dass der Wiederaufbau des Berliner Schlosses geeignet ist, „die geistige Mitte der Nation“ – so der seinerzeitige Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann – darzustellen? Oder dass dieses Projekt auch nur für die angemessene Präsentation der ethnologischen Sammlungen aus Dahlem geeignet sein könnte? Oder dass das Schloss zumindest städtebaulich überzeugen wird?

Schon im ausgelobten Verfahren, das mit ca. 150 Teilnehmern unentschlossen zwischen offenem und Einladungswettbewerb laviert, zeigte sich dieselbe Mutlosigkeit wie in der eigentlichen Aufgabenstellung. Die Sorge vor über 1.000 Teilnehmern wie kurz zuvor bei der Bibliothekserweiterung in Stockholm war allerdings völlig unbegründet: Es fanden sich nur 85 Teilnehmer (!), und so mancher wird sich im Nachhinein mächtig geärgert haben: Wohl noch nie war es bei einem so gut dotierten Wettbewerb (900.000.-) so leicht in die 2. Phase zu gelangen.

Das Teilnehmerfeld des Wettbewerbs ist vielfach kritisiert worden. Unbestreitbar: Die internationale Beteiligung ließ sehr zu wünschen übrig. Dass hingegen die Top Acts der Szene nicht teilnahmen, dürfte nicht nur an der Aufgabe gelegen haben. Jean und Jacques, Rem und Renzo sind für Verfahren mit mehr als 10 Teilnehmern kaum zu gewinnen, was vielleicht zu verschmerzen ist. Gleichwohl: Die Beiträge von Nouvel, Herzog de Meuron, Koolhaas oder Piano hätten schon interessiert. Erschreckender ist, dass es offensichtlich nicht gelang, neben dem Berlin zwiespältig verbundenen David Chipperfield mindestens ein zweites internationales Schwergewicht in die Jury zu berufen.

Das Teilnehmerfeld war dennoch so uninteressant nicht: Da findet sich das Großbüro von Gerkan, Marg + Partner neben diversen  Architekten wichtiger Bundesbauten – Schultes, Braunfels, Gruber Kleine-Kraneburg -, aber auch jüngeren Büros wie Anderhalten, Heide von Beckerath, Meixner Schlüter Wendt und dem Schloss-Kritiker Philipp Oswalt. Selbst die Überraschungssieger von zwei der größten offenen Wettbewerbe der vergangenen Jahre waren dabei: Heike Hanada (Asplund-Bibliothekserweiterung in Stockholm) und das irische Büro Heneghan Peng, das derzeit das neue Ägyptische Nationalmuseum in Gizeh realisiert. Sie alle schieden in der 1. Phase aus. Und wie!

Reihenweise gingen die Teilnehmer der Auslobung in die Falle und versuchten dem vorgegebenen Baukörper mit dem Vokabular der Moderne beizukommen. Das war  angesichts von Hermetik und Maßstab des historischen Schlosses von vornherein zum Scheitern verurteilt und liefert den Schlossanhängern nun treffliche Munition: Seht nur, sie können´s eben nicht! Insbesondere die Versuche der Neuinterpretation oder der zeitgenössischen Gestaltung einer Kuppel haben dem Auslober ein wahres Kuriositätenkabinett beschert, das den Architekten kein gutes Zeugnis ausstellt.

Und es ist einfach nicht zu fassen, wie vollkommen mutlos etwa Axel Schultes, der seit über 10 Jahren mit dem Duktus und Habitus eines preußischen Reformers landauf landab predigt, dass „Berlin endlich in die Räume kommen“ müsse, und hierfür eine diskutable städtebauliche Alternative entwickelt hat, wie dieser Architekt des Kanzleramts die rigiden Vorgaben des Deutschen Bundestags sogar übererfüllt und selbst die mittelalterliche Spreefront peinlich rekonstruiert! Das bleibt rätselhaft und zählt zu den größten Enttäuschungen dieses Wettbewerbs.

Eine ganze Reihe von Entwürfen versucht sich immerhin von den vorgegebenen Fassaden zu distanzieren, besonders deutlich der Entwurf von Philipp Oswalt und Julien Montfort: Die Idee, das eher hermetische Schloss durchlässiger zu machen ist bestechend (eine Idee, die ansonsten nur im Sonderpreis von Kuehn Malvezzi noch einmal auftaucht!). Doch die Fassade hochzustemmen, damit der öffentliche Raum darunter durchfließen kann, ist leider konstruktiv und tektonisch fragwürdig. Mit der deutlichen Übererfüllung des Raumprogramms zugunsten der Bibliothek schadet sich der Entwurf zusätzlich.

Nur ein einziger Teilnehmer brachte den Mut zu einer radikalen Kritik an den Vorgaben auf: Andreas Emminger aus Nürnberg wird selbst kaum mit einem Erfolg seines Hochhauses, das durchaus geschichtsbewusst an Schlüters Münzturm anknüpft, und des „Wolkenbügels“ geglaubt haben. Immerhin blieb es ihm allein vorbehalten daran zu erinnern, dass es auch völlig andere, mit einiger Wahrscheinlichkeit weitaus bessere städtebauliche Möglichkeiten gäbe als die Rekonstruktion des Schlossbaukörpers. Denn diese Lüge ist und bleibt der Geburtsfehler des Projekts: Dass es eine städtebauliche Notwendigkeit sei und nicht eine politische oder sogar ideologische.

Der eklatanten Schwäche so vieler Beiträge ist es zu verdanken, dass selbst das Teilnehmerfeld der 2. Phase noch eine interessante Mischung aufweist: Während die Jungstars der Kunstszene, Kuehn Malvezzi aus Berlin, mit einem hochdotierten Sonderpreis zu den heimlichen Siegern des Wettbewerbs avancierten, belegten einige Schwergewichte der IBA- und der Stimmann-Ära die 3. Ränge: Kleihues und Kleihues, der unverhohlen im Repertoire der Postmoderne schwelgende Christoph Mäckler, und Hans Kollhoff mit einem irritierend misslungenen Hybrid aus dem von ihm designten Goya-Club und einem kleinlich bis hin zum Schlossgärtchen rekonstruierten Osttrakt.

Stimmann scheint im Moment der Wettbewerbsentscheidung nicht nur rein zufällig neben dem Sieger, Franco Stella, gestanden zu haben, sondern auch hinter  dem einen oder anderen Preisrichter, anders lässt sich diese Preisgerichtsentscheidung kaum erklären.

Unter den weiteren Teilnehmern der 2. Phase finden sich jüngere Büros wie Georg Scheel Wetzel, Titus Bernhard oder Behles Jochimsen, kommerzielle Großbüros wie nps Tchoban Voss (immerhin ein Ankauf), weitere Stimmann-Adepten wie Bernd Albers mit punktuellen und Tobias Nöfer mit umfassenden Ausflügen ins kunstgewerbliche, sowie Hilmer & Sattler und Albrecht, deren äußerlich kraftloser Entwurf im Inneren auf sehenswert fehlgeleitete Weise das Ambiente eines Luxushotels entstehen lässt. Dass, wie nun zu lesen war, ausgerechnet dieses Büro die weiteren Entwurfsphasen für den personell unterausgestatteten Stella übernehmen soll, lässt nichts Gutes ahnen und kann wohl nur der Vermittlung des ubiquitären Hans Stimmann zu verdanken sein. Warum sonst sollte Stella auf ein Büro mit einer so anderen Entwurfshaltung zurückgreifen? Bestenfalls eignet sich das Ergebnis am Ende vielleicht noch für den immer wieder im Raum stehenden Umzug der Gemäldegalerie. Natürlich ist es irritierend, dass ein im Wettbewerb so deutlich gescheitertes Büro wie HSA schließlich doch zum Zuge kommt und die entscheidenden Leistungsphasen erbringen soll. Auch wenn dies rechtlich zulässig zu sein scheint: Architektonisch ist es unsinnig, unzweckmäßig, ja: unanständig.

Neben den vielen kritischen und dem einen die Vorgaben klar ablehnenden Entwurf gab es auch einen, der alle Vorgaben strikt befolgte, aber auf geradezu perfide Weise unterlief: Im Untergeschoss die fensterlosen Restaurants, im Erdgeschoss Hausmeister- und Lagerräume mit Blick auf den Lustgarten. Die Schlüter-Portale, die sich gerade in ihrer innenräumlich-plastischen Durchbildung von den späteren Eosanderportalen  unterscheiden: Nichts als schmale, tunnelartige Passagen, an denen u.a. WCs angelagert sind. An der Stelle des triumphalen Schlütertreppenhauses, der Gigantentreppe: Ein schmaler, asymmetrisch liegender Durchschlupf zum ungestalteten Spreeufer, eine Mitarbeitercafeteria und weitere WCs. Dieser Mann muss Schlüter und sein Schloss hassen! Er heißt Franco Stella, sein Entwurf erhielt den 1. Preis.

Am Sonderpreis hingegen wird das ganze Dilemma dieses Wettbewerbs ersichtlich, und man darf wohl annehmen, dass die Jury genau deshalb einstimmig diesen Sonderpreis vergeben hat: Um ihre Ehre zu retten. Um zu manifestieren, dass auch sie wusste, dass es anders, besser hätte gehen können, wenn der Deutsche Bundestag mehr Mut, Offenheit und Phantasie bewiesen hätte. Der Entwurf von Kuehn Malvezzi nämlich setzt sich bei weitem am ernsthaftesten mit dem Schloss auseinander. Man meint zwar eine gewisse Distanzierung der Architekten von den Vorgaben zu spüren, aber sie akzeptieren sie und versuchen trotzdem zu einer kreativen Lösung zu kommen. Und in der Tat schaffen sie einen eminent städtebaulichen, geschichtlichen, architektonischen Entwurf: Die Fassadengestaltung als profilierte Ziegelwand mit (vielleicht) „nachwachsenden“ Barockfassaden erinnert an diverse nicht fertiggestellte historische Bauten, aber auch an Schinkels Neue Wache, und erzählt vielmehr von der Geschichte des Schlosses als alle anderen Entwürfe zusammen. Mit der großen westlichen Halle beziehen sie sich geschickt auf ein weiteres Thema Schinkels: Die Verzahnung des öffentlichen und des halböffentlichen Raums beim Alten Museum. An dieser Stelle wird die freigestellte Rekonstruktionsfassade zwar zur Kulisse, überall sonst aber schaffen die Architekten viel Gefühl für Maßstab, Proportion und Material einen wirklichen Baukörper. Die große Empfangshalle zwingt allerdings zum Verzicht auf die Kuppel, auf die das historische Schloss auch 150 Jahre verzichten konnte. Allein deshalb kam dieser Entwurf – der beste! – nicht mehr für die Realisierung in Frage! Darin liegen die Tragik und der Skandal dieses Wettbewerbs.

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