Eine Haut massiver Mauern

Der Sieger des Wettbewerbs Franco Stella äußert sich in diesem Interview über die Umsetzung des Projektes, seine architektonischen Ideen und den konkurrierenden Entwurf von Kühn-Malvezzi.

Franco Stella im Interview mit Giovanni Piovene

Giovanni Piovene: Ein Journalist der New York Times zitiert Sie in seinem Artikel: “Das Schloss war für die deutsche Nation bedeutend, weil Berlin nicht homogen und unzusammenhängend ist. Daher ist es so wichtig, seine Geschichte wieder aufleben zu lassen. Durch die Erinnerung unterscheidet sich Europa von Amerika.” Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach der Architekt in diesem Prozess?

 

Franco Stella: Über den Wiederaufbau des Schlosses wird schon seit dem ersten Tag nach dem Mauerfall diskutiert. Im Jahr 2002 stimmte das deutsche Parlament mit großer Mehrheit dafür und heute findet er bei mehr als sechzig Prozent der Berliner Bevölkerung Zustimmung, im Westen wie im Osten, obwohl der östliche Teil auch noch die Zerstörung des Palastes der Republik hinnehmen musste. In dem in der New York Times erschienenen Artikel kritisiert der Berichterstatter der europäischen kulturellen Szene, der sich nur selten mit Architektur auseinandersetzt, nicht so sehr meinen Entwurf („vielleicht wurde er wegen seiner Schlichtheit ausgewählt“ – das ist alles woran ich mich erinnere), als vielmehr die Idee, das Schloss wieder aufbauen zu wollen und, noch allgemeiner, sogar die Idee des „kritischen Wiederaufbaus“ der Stadt, die im wiedervereinigten Berlin der Leitgedanke der Urbanistik war.

Hinsichtlich der Worte, die mir von dem Journalisten zugeschrieben werden (das Gespräch fand ohne Übersetzer und Aufnahmegerät statt) fällt es mir schwer, einen Sinn zu finden, insbesondere in dem Satz, in dem Amerika mit Europa verglichen wird. Er fasst schematisch eine Überlegung von mir zusammen, in welcher ich eine größere Beweglichkeit mit einer geringeren Identifikation mit Orten und Gebäuden in Verbindung brachte, mit einem geringeren Interesse für das Einzigartige oder Geschichtliche der Architektur. Ohne zu vernachlässigen, dass in einer globalisierten Welt, die in der Metapher „flüssige Gesellschaft“ des Soziologen Zygmunt Baumann eine gute Entsprechung findet, sich der Erinnerungsverlust überall ereignet, erst recht in Europa.

Um zum Schloss der preußischen Herrscher zurückzukehren, ich bin der Meinung, dass der Wiederaufbau wegen seiner außergewöhnlichen politischen und zivilen Bedeutung für die gesamte deutsche Nation und insbesondere für die Urbanistik und Architektur der Stadt Berlin vollkommen gerechtfertigt ist, auch fünfzig Jahre nach seiner vollständigen Zerstörung. In meinem Projekt wird der „rekonstruierte“ Teil des barocken Schlosses so realisiert, als hätte er hier schon immer gestanden, denn er wird als „Körper“ ausgeführt, nicht nur als „Gesicht“. Deshalb sollen die Fassaden nicht wie ein aus tausend Stücken zusammengesetztes Kleid wirken, dass man über ein Stahlskelett hängt, sondern als die „Haut“ massiver Mauern, welche derartig dick sind (einen Meter), dass sie in Durchmesser und Einheitlichkeit die alten Mauern repräsentieren, die hier einst standen.

Giovanni Piovene: Das Projekt zählt zu den größten öffentlichen Bauvorhaben, die jemals in Deutschland ausgeführt wurden. Eine kritische Äußerung über Sie besagt, dass Sie bis heute nur Bauwerke kleinerer oder mittlerer Größe ausgeführt haben, wenn man sie mit der Baumasse des Humboldtforums vergleicht. Wie gedenken Sie, diese neue Aufgabe zu meistern?

Franco Stella: Ich könnte antworten, dass die neuen Ausstellungshallen der Messe von Padua , die ich vor einigen Jahren entworfen und ausgeführt habe, nicht gerade kleine oder mittlere Bauten sind. Ich ziehe es aber vor zu sagen, dass es keinen automatischen Bezug zwischen Quantität und Qualität gibt; insbesondere zu Beginn, wenn das Projekt konzipiert wird, steht der Aufwand an Energie keineswegs in Proportion zu den Ausmaßen des Werks. Ich möchte hinzufügen, dass ich in dem gleichen Zeitraum, in dem ich an dem Wettbewerb für den Wiederaufbau und die Erweiterung des Berliner Stadtschlosses arbeitete, an unvergleichlich kleineren und weniger bedeutenden italienischen Wettbewerben für öffentliche Bauten hätte nicht teilnehmen können, denn mein Büro erfüllte nicht die notwendigen quantitativen Voraussetzungen.

Gewiss, mein Büro reicht jetzt nicht mehr aus, um das Wettbewerbsprojekt weiter zu entwickeln und auszuführen, aber das wäre auch bei einem wesentlich größeren Büro der Fall gewesen. Es ist vollkommen normal, wie groß auch immer das eigene Büro im Heimatland ist, im Ausland die Mitarbeit ortsansässiger Fachleute zu suchen.

Giovanni Piovene: Wie gedenken Sie die Arbeiten zu organisieren? Werden Sie in Berlin ein Büro eröffnen? Oder werden Sie vor Ort mit einem Büro zusammenarbeiten?

Franco Stella: Ich sage zunächst einmal, dass in Fällen wie diesem sowohl der Umzug von Personen und Ausrüstung als auch die Ausführung der neuen Aufgaben, nur von „zu Hause“ aus, fast nicht zu leisten ist. Auch die Möglichkeit ein eigenes Büro in Berlin zu eröffnen, dem die gesamte Entwicklung des Projektes und seine Ausführung anvertraut wird, erscheint mir wesentlich problematischer, als mit einigen Berliner Büros mit großer Erfahrung und mit den für solch eine gewaltige Aufgabe nötigen Infrastrukturen zusammenzuarbeiten, zumal der Zeitrahmen eng gesteckt ist. Daher denke ich als der allein federführende Projektleiter daran, eine neue Planungsgesellschaft zu gründen, für die ich gleichzeitig der „Auftraggeber“ und, zusammen mit zwei Berliner Büros, Gesellschafter bin. Ich bleibe also auf jeden Fall in allen Entwurfs- und Ausführungsphasen der „Regisseur“ des Unternehmens.

Mein Büro in Vicenza und vielleicht auch mein neues Büro in Berlin werden für dieses Unternehmen ganz konkret ihren Beitrag leisten.

Giovanni Piovene: Haben Sie für solch eine Arbeitsgruppe bereits Übereinstimmung erzielt?

Franco Stella: Im Großen und Ganzen ja.

Giovanni Piovene: Soweit ich mich informieren konnte, habe ich gelesen, dass man in diesen Tagen entschieden hat, Ihrer Projektleitung das Büro Hilmer und Sattler zur Seite zu stellen. Wie soll das in diesem Fall funktionieren? Warum hat man ausgerechnet ein Büro ausgewählt, das an diesem und einem vorausgegangenen Wettbewerb zum selben Projekt teilgenommen hat? Wäre es nicht besser gewesen, einen Architekten auszuwählen, der nicht mit eigenen Ambitionen Projektvorschläge präsentiert hat?

Franco Stella: Vom Gesichtspunkt des Auftragsgebers aus ist es sicher beruhigend, wenn das „Kontaktbüro“ für die vor uns liegenden Aufgaben eine angemessene Größe und Erfahrung mitbringt. Trotzdem geht es nicht darum, zusammen mit anderen Architekten ein neues Projekt auszuarbeiten. Das von Ihnen erwähnte Büro wird bei dem Ausführungsplan und das Büro Gerkan und Marg bei der Bauleitung meines Wettbewerbsbeitrages mitarbeiten. Der Auftrag für die Erwerbsgesellschaft, die ich zusammen mit den beiden Berliner Büros gründen werde, ist eine Weitervergebung, denn der Auftraggeber, die Deutsche Bundesrepublik, hat die Absicht, den Auftrag, wie die Ausschreibung besagt, allein dem federführenden Gewinner des Wettbewerbs anzuvertrauen.

Giovanni Piovene: Ich habe ein Buch gefunden, welches Sie im Jahr 1983 veröffentlicht haben, als Sie Professor an der IUAV (Architekturfakultät) von Venedig waren. Darin ging es um ein Seminar zum Wiederaufbau eines Gebäudes am Marktplatz von Weimar. Ein Projekt der Universität Dresden – um nur eines der aus osteuropäischen Ländern stammenden Projekte zu nennen – schlug die vollständige Rekonstruktion der im Krieg zerstörten Stadtfassade vor. Die venezianische Delegation, der Sie angehörten, war gegen die historische Rekonstruktion. Haben sich die Zeiten, der Kontext oder das Ausmaß der Interventionen geändert?

Franco Stella: Man kann die Bedeutung und die Methode der Rekonstruktion nicht verallgemeinern. Auch die gesellschaftliche Sensibilität hat sich in letzter Zeit stark verändert, ich erinnere nur an den Spreeinsel-Wettbewerb von vor fünfzehn Jahren, der auch das Berliner Schloss mit einschloss. Damals schlug man vor, dass sich das Neue nur an die alte Bauvolumen halten sollte, nicht an die äußeren Formen des Alten. Nur wenige isolierte Meinungen sprachen sich für einen Wiederaufbau des Schlosses einschließlich der Fassaden aus.

Die Problematik des alten Gebäude am Markt von Weimar liegt für mich völlig anders, damals wie heute. Das zu „rekonstruierende“ Gebäude entsprach einem städtischen Häuserblock, der vielen anderen ähnelte, er war mit Sicherheit kein außergewöhnliches Baudenkmal der nationalen Geschichte oder auch „nur“ der Architektur Weimars.

Giovanni Piovene: Das Berliner Schloss war ursprünglich kein öffentliches Gebäude, trotz seiner fünf Eingänge wirkte es der Stadt gegenüber verschlossen. Die Fenster lagen in drei Meter Höhe, das Erdgeschoss war Dienst- und Hilfsleistungen vorbehalten. Auf diese Weise blieb der Herrscher isoliert, über die Volksmasse erhöht. Aber das Humboldtforum ist ein Katalysator, ein öffentliches Bauwerk mit einem ständigen Zustrom von Nutzern. Wie sehen Sie diesen Zustrom angesichts der Tatsache, dass der Auftraggeber mit 20.000 Besuchern am Tag rechnet? Doch der Hauptschwerpunkt mit den Ausstellungen, – ist er nicht erst in 14,5 m Höhe zu erreichen?

Franco Stella: Der „Neubau“ sieht im westlichen Innenhof des alten Schlosses (im so genannten „Eosander-Hof“) eine urbane Struktur aus Plätzen und Straßen vor, die mit Glas überdacht sind. Im Erdgeschoss und im Souterrain befinden sich die allgemeinen Funktionssäle, das Theater, das Auditorium, die Räume für Wechselausstellungen, der Buchladen, die Cafés und die Restaurants, die Konferenz- oder Seminarräume, – all dies bildet die so genannte Agorà, welche durch den Eingangssaal beherrscht wird, eine Art „gotischer“ Säulenhalle mit dreißig Meter hohen Säulen. In die Agorà gelangt man auch unabhängig von den Museumssälen. Im ersten Stock liegen die Bibliotheken und die Ausstellungsräume der Regionalbibliothek und der Humboldt-Universität. Im zweiten und dritten Stock der „rekonstruierten“ und der „neu gebauten“ Schlossteile befinden sich die Ausstellungssäle der außereuropäischen Sammlungen, die heute weit entfernt in der Peripherie Berlins untergebracht sind. Um die Verbindung zwischen den verschiedenen Stockwerken sichtbar und leicht zugänglich zu machen und den Zugang zu den Ausstellungen auch visuell hervorzuheben, wird der Baukörper, der an dem neuen, platzähnlichen Hof liegt, welcher das Schloss durchquert, als „Treppen- und Aufzugshaus“ dienen.

Der platzartige Hof, der den Palast durchquert, ist vielleicht das bestimmende und einzigartige Element meines Projektes, er ist gleichzeitig ein Schlosshof, der feierliche Eingang zum Humboldt-Forum und ein bedeutender Platz der Stadt. Er entsteht aus dem Bau von zwei gleichen Galeriegebäuden, die hinsichtlich der beiden zentralen, einander gegenüber liegenden Portale symmetrisch sind. Eines ist „erfunden“, das andere eine „Rekonstruktion“ der Bauvolumen des „Quergebäudes“, das die beiden Schlosshöfe voneinander trennte. Durch diesen neuen Innenhof werden erstrangige Straßen und Plätze der Stadt miteinander verbunden, die in Beziehung zu dem „Stadtportal“ nach Süden und dem „Garten- und Landschaftsportal“ nach Norden angelegt wurden. Die Proportionen dieses platzartigen Hofes, die sich aus dem Abstand und der Höhe der Gebäude ergeben, und die architektonische Ordnung, welche die Fassaden schmückt, erinnern an den Innenhof der Uffizien in Florenz.

Auf der Spreeseite habe ich anstelle der mittelalterlichen Schlossgebäude ein völlig neues Gebäude erfunden, das nur aus Galerien und großen Treppen besteht, quasi eine monumentale Szenerie des Emporsteigens und gleichzeitig ein Aussichtspunkt auf die Stadt.

Giovanni Piovene: Die Loggien sind die Hauptrisalite der Gesamtanlage? 

Franco Stella: Die offensichtliche Unbewohnbarkeit eines Gebäudes, das nur aus Loggien und Treppen besteht, übermittelt ebenso eindeutig seine öffentliche Natur. Zweifellos kann es sich nicht um einen Bau für Wohnungen oder Büros handeln, solch eine Fassade verträgt sich nicht mit einem wie auch immer gearteten bewohnten Ort. Viele öffentliche Gebäude der Vergangenheit können dafür als Beispiel dienen, insbesondere die nah gelegene „Fassade“ des Alten Museums von Schinkel oder die Fassade Palladios für die Basilika von Vicenza.

Giovanni Piovene: Das scheint fast typisch für das zeitgenössische Bauwesen zu sein, jeder umbaute Raum muss einer wirtschaftlichen Berechtigung entsprechen. Noch vor wenigen Jahren hätte das vielleicht kaum eine Rolle gespielt. Will man angesichts der hohen Baukosten die Loggien zur Spree hin reduzieren?

Franco Stella: Die Loggien bleiben, auch wenn das Gebäude, das als Projekt nur aus Loggien und Treppen bestand, bewohnbar werden wird, mit verschiedenen benutzbaren Räumen in seinem Inneren. Das was man von den Loggien aus jenseits des Flusses sieht, jener Park, der sich bis zum Fernsehturm erstreckt, ist ein Gebiet, auf dem man gleichzeitig mit der Zerstörung des Schlosses die mittelalterliche Bebauung entfernte, den ältesten Stadtkern. Er könnte in Zukunft nach dem Prinzip des „kritischen Wiederaufbaus“, der sich in der jüngsten Berliner Urbanistik durchgesetzt hat, rekonstruiert werden, entsprechend den Plänen, der Bauvolumen und den einstigen Traufhöhen der früheren Altstadt. Oftmals ist die in der Nachkriegszeit in den zentralen Vierteln Berlins errichtete moderne Stadt eine Summe aus Einzelobjekten, die sich nicht mit der Einzigartigkeit des urbanen Raumes auseinandersetzen, wie das noch bei den Bauten der Vergangenheit geschah. Ohne Bezug zu dem urbanistischen Kontext wirken die Dimensionen der Bauwerke oft willkürlich, entsprechen der Genialität des Architekten und/oder vor allem dem Profitstreben des Investors.

Giovanni Piovene: Das erinnert an die Äußerungen von Colin Rowe in Collage City. Berlin ist dafür vielleicht exemplarisch, denn hier werden Abschnitte der alten Stadt mit dem zusammengebracht, was Colin Rowe die Stadt der Objekte genannt hat, Bauten der Moderne, die keinen räumlichen Bezug zu dem Kontext haben, in dem sie sich befinden.

Franco Stella: Wenn das Gebäude aus dem urbanen Kontext extrapoliert und als autistisches Objekt erfunden wird, determinieren das Interesse des Investors und die Sensibilität des Architekten auf nahezu „absolute“ Weise seine Dimension. Architektur ohne Bezug zum Ort ist im Grunde dem Design ähnlich, der Entwurf des Bauwerks unterscheidet sich nicht mehr von dem Entwurf eines Objektes, das überall gebaut werden könnte, in Singapur, in Dubai oder im Zentrum Mailands, dabei denke ich zum Beispiel an die Wolkenkratzer der so genannten City Life.

Giovanni Piovene: Nach dem Abriss des Schlosses entstand an seiner Stelle eines dieser Objekte der Moderne, der Palast der Republik. Jetzt wird man das Schloss mit seinem ursprünglichen Bauvolumen wiedererrichten, aber in einer anders gearteten urbanistischen Anlage (eine große Durchgangsstrasse ist hinzugekommen, die Gebäude längs der Spree gibt es nicht mehr und das Schloss ist nicht länger eine Summe von Gebäudeteilen verschiedener Epochen).

Franco Stella: Dem Portal gegenüber befindet sich der zum Teil noch erhaltene Lustgarten, auch wenn er von einer Straße durchschnitten wird, die allerdings schon im 19. Jahrhundert entstand. Der heutige urbanistische „Kontext“ ähnelt im Grunde immer noch dem alten oder kann mit Leichtigkeit wieder so werden wie er war. Berlin ist zusammen mit dem Schloss entstanden, das Schloss war der Bezugspunkt für die wichtigsten Orte dieser Stadt  – man denke nur an Unter den Linden – und für seine wichtigsten Baudenkmäler. Das geht so weit, dass man mit dem Historiker Wolf Jobst Siedler behaupten kann: „Das Schloss befand sich nicht in Berlin, das Schloss war Berlin“.

Giovanni Piovene: Hat der Auftraggeber noch andere Änderungen außer an den Loggien verlangt?

Franco Stella: Das wichtigste Ziel bei der Entwicklung des Projektes ist die Integration und gleichzeitig die Autonomie der verschiedenen Funktionen und der jeweiligen „Nutznießer“ oder Betreiber. Dabei geht es vor allem um die Anordnung der Innenräume und nicht so sehr um die Typologie und Form der Architektur.

Giovanni Piovene: Welches sind Ihre Ideen für eine Bibliothek oder einen Ausstellungsraum? Haben Sie da Orientierungsmerkmale? Welche Atmosphäre werden Sie den Innenräumen geben, die Sie entwerfen werden?

Franco Stella: Trotz der bindenden Vorgaben einer „Rekonstruktion“ gibt es für die Maße und Formen der Ausstellungsräume eine breite Palette, man kann bei den Räumen zwischen den Typologien „Aula“ und „Galerie“ unterscheiden.

Giovanni Piovene: Viele wichtige Räume der Agorà werden unterirdisch sein (Räume für Sonderveranstaltungen und die Bar/das Café). Wie werden Sie die Beleuchtung dieser Orte lösen, da sie praktisch ohne Tageslicht auskommen müssen? Gibt es eine tragende Idee, die diesen Umstand rechtfertigt?

Franco Stella: Alle Räumlichkeiten mit einer vorrangigen Nutzung werden sich über der Erde befinden, mit Zugang vom Erdgeschoss aus. Das ergibt sich vor allem aus den Änderungen in dem neuen Baukörper an der Spree, in dessen Innerem neue benutzbare Räume geschaffen werden sollen.

Giovanni Piovene: Gibt es Besonderheiten der deutschen Barockarchitektur, die Sie für wichtig halten und die Ihr Projekt beeinflusst haben oder gibt es einen deutschen Architekten, den Sie für bedeutend halten?

Franco Stella: Die deutschen Architekten des 18. Jahrhunderts haben sich intensiv mit der italienischen Architektur auseinandergesetzt, ganz allgemein auch mit der antiken römischen Architektur und nicht nur mit der zeitgenössischen barocken Architektur. Von damals bis heute sehe ich als von mir bevorzugte Repräsentanten der Berliner Architektur Karl Friedrich Schinkel für das 19. Jahrhundert, Mies van der Rohe für die erste und Oswald Mathias Ungers für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Giovanni Piovene: Was halten Sie von dem Sonderpreis an Kühn Malvezzi, dessen Entwurf von der Jury und von der Bürgerschaft als eine Alternative zu Ihrem Projekt gesehen wurde? Was sind seine Stärken und Schwächen?

Franco Stella: Die eigentliche Kontroverse, die oft als eine Querelle zwischen Traditionalisten und Modernisten verstanden wird, ist die Frage nach dem Stil der Fassaden, nach den Gurtgesimsen oder auch den Tür- und Fenstergesimsen. Das von Ihnen erwähnte Projekt, wie alle anderen, die sich selbst von dem „wahren“ Wettbewerb ausgeschlossen haben, weil sie nicht das rekonstruieren wollten, was gefordert war, schlägt lediglich die Bauvolumen des ehemaligen Schlosses vor. Was sie unterscheidet ist vor allem der „Stil“ von „erfundenen“ Fassaden, die keine Rekonstruktionen sind. Ist das der ganze Unterschied? Im Allgemeinen glaube ich nicht, dass die stilistische Frage so bedeutend ist, aber hier geht es nicht um irgendeine ästhetische oder ideologische Vorliebe. Ich glaube, dass die Rekonstruktion der Fassaden notwendig ist, um das Gebäude zu evozieren, das hier 250 Jahre lang gestanden hat, sowohl in seiner Art als auch als Individuum. Ohne jene Fassaden kann ein Gebäude gleichen Umfangs auch wie ein Ministerium, ein Justizpalast oder ein Kaufhaus wirken. Die Rekonstruktion ist ein notwendiges Mittel, um das Ziel der „historischen Aktualisierung“ zu verwirklichen, welche das deutsche Parlament mit seiner Entscheidung herbeiwünschte.

Franco Stella: Unverträglich mit dem Alten ist nicht das „Moderne“, sondern der Integralismus des Modernen, seine exklusive Identifikation mit dem Neuen. Um nicht zu sagen, die Formen des ständig „Modernen“ haben sich derartig ausgebreitet, dass sich jeder Architekt nur noch in seiner eigenen Form wieder erkennt. Insbesondere in Berlin stand, wegen der einzigartigen Geschichte der Stadt, den Sprachformen der Moderne auch in den zentralen Vierteln ein so ausgedehnter Raum zur Verfügung, wie das vielleicht in keiner anderen europäischen Großstadt möglich war.

Das Gespräch wurde Mitte Februar 2009 in Vincenza geführt. Übersetzung aus dem Italienischen von Rainer Schönwiese.

 

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