Rekonstruktion der Meisterhäuser in Dessau

Nicht nur in Berlin, und nicht nur Barock wird rekonstruiert. Vor zwei Jahren beschloss die Stadt Dessau, die im Krieg zerstörten Meisterhäuser des Bauhauses von Gropius und Moholy-Nagy annähernd wiederaufzubauen. Doch die Entwicklung und Realisierung des Vorhabens erweist sich nicht zu letzt wegen widersprechender Vorstellungen der verschiedenen Akteure als schwierig. Manche der Probleme zeigen erstaunliche Ähnlichkeiten mit dem Berliner Schlossprojekt: Der Wunsch nach möglichst exakter Rekonstruktion der äußeren Erscheinung, ein wenig überzeugendes Nutzungskonzept, Originalbauteile im Untergrund etc. Hier zwei aktuelle Texte zum Thema von dem freien Journalisten Günter Kowa sowie dem Dirketor der Stiftung Bauhaus Dessau, Philipp Oswalt

Rekonstruktionsfallstricke
Dessau Meisterhäuser: Wettbewerb wird neu ausgeschrieben

von Günter Kowa

Zum dritten Mal in ebenso vielen Jahren nimmt die Stadt Dessau Anlauf, per Wettbewerb eine Lösung für das im Krieg teilzerstörte Meisterhaus-Ensemble zu finden. Drei bis fünf Architekten sollen es nun in einem beschränkten Wettbewerbsverfahren richten. Bis Ende des Jahres will ein Arbeitskreis unter Leitung von Oberbürgermeister Klemens Koschig geeignete Büros ausgewählt haben. Die Runde hat sich außerdem der Mitwirkung David Chipperfields versichert, der als ehrenamtlicher Berater zur Verfügung steht.

Gebaut werden kann nun frühestens 2011, obwohl das davor liegende Jahr der Internationalen Bauausstellung auch wegen der Fördergelder immer als dringliche Zielmarke genannt worden war. Ein erneutes Verfahren war jedoch nicht zu vermeiden, da die Zürcher Architekten Lippuner und Wick, die mit einem Entwurf schwarzer gläserner Kuben einen der zwei zweiten Preise gewonnen hatten, den Auftrag zur Weiterarbeit vor kurzem überraschend zurückgaben. Wieso es dazu kam, wird öffentlich nicht mitgeteilt, wohl aber bezeichnete Arbeitskreis-Mitglied Philipp Oswalt, seit Anfang des Jahres Direktor der Stiftung Bauhaus, den erreichten Planungsstand als „inakzeptabel“.

Das muss keineswegs nur an den Architekten gelegen haben. Die Aufgabe krankte von Anfang an daran, dass es unklare Nutzungsvorstellungen sowie den Grundsatzkonflikt zwischen der Rekonstruktion des Urzustands und möglichen zeitgemäßen Änderungen gab. Kompliziert genug ist die Ausgangslage ohnehin. Während die Doppelhaushälfte Feininger ihr Pendant, gebaut für Moholy-Nagy, im Bombenangriff komplett verlor, steht vom benachbarten Direktorenhaus Gropius immerhin noch das Souterraingeschoss – die einstige Hausmeisterwohnung – und auf den Grundmauern das „Haus Emmer“, errichtet 1956 mit Heimatstilanklängen samt Satteldach. In den Jahren seit der Wende sind die übrigen Meisterhäuser aus einem Zustand grober Entstellungen und langen Verschleißes heraus nach Vorbild restauriert worden.

Das Dessauer Ringen um „akzeptable“ Lösungen fing schon mit dem „Bauhaus Award“ von 2006 an, der dem Teilnehmerkreis die „Aktualisierung der Moderne“ zur Aufgabe stellte. Die hatte das Bauhaus als „Dritten Weg“ zwischen dem Erhalt des Status Quo und der vollständigen Rekonstruktion empfohlen. Ein Jahr zuvor hatte es sich der damalige Oberbürgermeister Hans-Georg Otto noch sehr viel einfacher vorgestellt, als die Stadt unter seiner Regie das Haus Emmer von den letzten Erben kaufte. Er vertritt bis heute die Auffassung, das Ensemble müsse aufgrund seiner Bedeutung und weltweiten Bekanntheit so originalgetreu wie möglich wiederhergestellt werden.

Es gab aber auch namhafte Architekturhistoriker wie den Bauhaus- und Gropius-Forscher Winfried Nerdinger, der davor warnte, das Ensemble einer wie auch immer gearteten Architekten-Selbstdarstellung zu überantworten. Auch Icomos wies darauf hin, dass der Welterbe-Status der Meisterhaussiedlung durch ungeeignete Maßnahmen gefährdet würde.

Die bisherigen Wettbewerbsergebnisse lassen kaum Zweifel daran, dass ein Kompromiss zwischen eingeengten Vorgaben und freiem gestalterischen Willen ohne Verrenkungen kaum zu haben ist. Der Gewinner im Bauhaus-Award etwa kam auf die bizarre Idee, das Haus Emmer vom Sockel zur Seite zu rücken, das Gropius-Kellergeschoss offen zu lassen und beides über eine tiefergelegte Passage zu erschließen. Und der gescheiterte Wettbewerb vom vergangenen Jahr wartete mit zig Varianten von würfelförmigen Bauten auf, gemäß der Vorgabe, die Kubaturen zu erhalten, dabei aber nicht mit der Umgebung zu konkurrieren.

Für den neuen Wettbewerb wurde nun immerhin klargestellt, dass im Gropiushaus kein Besucherzentrum mehr erwartet wird. Dieses hätte im Inneren eine völlige neue Raumaufteilung vorausgesetzt, auch auf ein Obergeschoss hätte man verzichten müssen, was zu der paradoxen Situation geführt hätte, dass die charakteristischen Balkone reine Attrappen gewesen wären, von Störungen im Rhythmus von Fenstern und Türen zu schweigen. Jetzt ist die Rede, dass im Haus die Bau- und Transformationsgeschichte erzählt und die Gropius’sche Musterwohnung dargestellt werden soll. Im Haus Moholy-Nagy möchte die örtliche Kurt-Weill-Gesellschaft ein Veranstaltungsraum einrichten.

Doch es bleibt abzuwarten, ob die ausgewählten Architekten in ihren Entwürfen zu überzeugenderen Lösungen kommen als ihre Kollegen der vorangegangenen Wettbewerbe. In den aktuellen Vorgaben geht, wie schon 2008, der Eiertanz weiter. Das eine ist gewollt, das andere nicht ausgeschlossen: „Unter Rekonstruktion der einstigen städtebaulichen Volumen, deren Farbigkeit (weiß) und dem Rhythmus der Öffnungen“, heißt es, sei das Ensemble zu ergänzen, zugleich müssten aber „die unterschiedlichen Zeitschichten lesbar bleiben“, die Ergänzung erkennbar sein „ohne den Gesamteindruck zu stören“ . Dazu wird gleich die passende Terminologie gestalterischer Strategien mitgeliefert, nämlich „Reduktion und Abstraktion“.

Auch Sachsen-Anhalts Kultusminister Jan-Hendrick Olbertz gab eine eigene Stellungnahme ab, die „originalgetreue Rekonstruktion“ explizit auszuschließen möchte. Er bedient sich dabei Begründungen, die inzwischen zum Mantra der Denkmalpflege geworden sind: historische Spuren sichern, Fragen nach „historischen Zusammenhängen und Kontroversen“ aufwerfen. Das alles natürlich „unaufgeregt“, ohne das Ensemble „zu provozieren“.

Die Fixierung auf derlei Dogmen aber verhindert, den jeweiligen Fall in seiner Besonderheit zu respektieren. Es geht in Dessau um die Teil-Rekonstruktion eines größtenteils erhaltenen Ensembles. Dessen Bedeutung liegt darin, dass seine Schöpfer in den 20er-Jahren eine radikale Wende baulicher Ästhetik zum Programm erhoben. In der gegenwärtigen Gemengelage eines unentschiedenen Sowohl-als-auch lässt sich dies kaum wieder erfahrbar machen.

Zuerst erschienen in Bauwelt, Heft 37/ 2009

Antwort von Philipp Oswalt
Sollen die Dessauer Meisterhäuser so originalgetreu wie möglich wiederhergestellt werden, wie es sich Dessaus Ex-Oberbürgermeister Hans Georg-Otto und anscheinend auch der Autor Günter Kowa wünschen? Und ist es ein Eiertanz, wenn man diesem Wunsch so nicht folgen mag?

Als ich zum 1.3.2009 mein Amt als Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau antrat, lag ein Planungsstand vor, der niederschmetternd war: Nicht nur, dass das Nutzungsprogramm für die kleinen Häuser viel zu umfangreich war. Die Planung war das Ergebnis eines Tauziehens zwischen Befürwortern und Gegnern von Rekonstruktion – hier ein „originales“ Geländer oder Fenster mehr, dort eine Geschossdecke weniger. Und die Bauaufsicht hatte zugeschlagen: In den kleine Villen waren aufgrund geänderte Nutzung und anderem Baurecht ein zweites Fluchttreppenhaus und Aufzug erforderlich, Balkone und Terrassen sind unbetretbar. Der Stadtrat wünschte zudem ein Niedrigenergiehausstandard. Das Resultat war ein unerträglicher Kompromiss, der nur eines zu erkennen gab: Das diese kleinen Häuser Opfer unterschiedlichster Einflüsse geworden waren, an dem viel zu viele Leute mitwirken, die nicht miteinander reden und jeweils etwas anderes wollen.

Dankenswerter Weise war die Stadt als Bauherr bereit, auf mein Drängen den Planungsstand zu überdenken; und die gequälten Architekten und die Denkmalpflege darüber erleichtert. Das Nutzungsprogramm wurde reduziert und eine kleine Arbeitsgruppe gebildet, die das Bauvorhaben für den Bauherren betreut. Zwei Schritte, die übrigens auch zu Beginn der Arbeit von David Chipperfield am Neuen Museum in Berlin standen und offenkundig unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen derartiger Projekte sind. Nijo Architekten überarbeiteten den Entwurf in überzeugender Weise, aber die vergangenen Konflikte hatten das Verhältnis zwischen Bauherren und Stadt so zermürbt, das man sich auf eine Vertragsauflösung verständigte. Der schmerzvolle gemeinsame Prozess von einem Jahren hat aber ein wichtiges Ergebnis: Man ist zu einer Klärung des Nutzungsprogramms, der praktischen Anforderungen und der Kriterien der Rekonstruktion gekommen. Eben genau das, was bei dem Wettbewerb vor zwei Jahren gefehlt hat, weshalb dieser auch nur zu unbefriedigenden Ergebnissen führen konnte. Auch wenn jetzt noch mal ein geeigneter Architekt für die Aufgabe zu finden ist, tritt man keineswegs auf der Stelle, sondern ist einen entscheidenden Schritt weitergekommen.

Auch handelt es sich dabei nicht um einen Eiertanz. Das ist es nur aus der Warte der beiden Seiten der Fundamentalpositionen – originalgetreue Rekonstruktion einerseits oder Rekonstruktionsverweigerung andererseits. Dabei haben beide Seiten etwas gemeinsam: die Fetischisierung einer spezifischen historischen Situation, ob des ehemaligen Zustandes und des heutigen. Was dabei verloren gehen, ist die Geschichtlichkeit des Ortes, die Spuren seiner Veränderung über die Zeit.
Auch wenn ich es falsch fände, den heutigen Zustand zu konservieren, so verkörpert er doch auch wichtige Bedeutungen. Dessau war nicht nur die Stadt des Bauhauses, sondern in der Nazizeit auch der Ort der Produktion von Militärflugzeugen und Zyklon B. Im Meisterhaus Gropius wohnte ein Testpilot der Junkerswerke, als die Bombe der Alliierten das Haus zerstörte. Und das Haus Emmer mit Satteldach und Sprossenfenster entstand 1956 zu Zeiten des Stalinismus, als das Bauhaus verpönt war und man die sogenannte ‚nationalen Bautradition‘ huldigte. Das alles spurlos zu beseitigen und einen möglichst originalgetreuen Zustand anzustreben, würde der heutigen Sehnsucht Ausdruck verleihen, so zu tun, als ob „es all die Schmerzen der Geschichte nicht gegeben“ habe. Ein möglichst originalgetreuen Wiederaufbau wäre zudem aufgrund des geänderten Baurechts in großen Teilen nicht öffentlich nutzbar und hätte substantielle Eingriffe in das noch erhaltene Sockelgeschoss zur Folge. Diese Schwierigkeiten zum Vorwand zu nehmen, sich der Rekonstruktionsfrage zu entziehen, würde der Sache auch nicht gerecht. Nicht nur städtebaulich unbefriedigend ist der jetzige Zustand. Es gibt auch den Wunsch, am historischen Ort, mehr von dem Schaffen des historischen Bauhauses anschaulich und damit erfahrbar zu machen. Die Gropiussche Musterwohnung wurde damals unzählige Male publizierter, verfilmt und von zehntausenden Menschen besichtigt.
Die Frage ist nicht, ob zu rekonstruieren ist oder nicht, sondern wie zu rekonstruieren ist: Es geht um eine Rekonstruktion, die sich als solche auf den zweiten Blick zu erkennen gibt und die auch die Transformationsgeschichte nicht ausblendet. Eine Rekonstruktion, die keine Kulisse ist, sondern ein für die heutige Nutzung stimmiges Bauwerk. Über Jahrhunderte hinweg war Rekonstruktion nicht der vermeintlich originalgetreue Wiederaufbau eines vergangenen Zustandes. Sondern eine Aneignung des historischen Erbes durch die jeweilige Gegenwart, ohne mit einem Avantgardestreben einen Bruch inszenieren zu müssen. In der Geschichte der Moderne hat sich die kulturelle Praxis in doppelter Wiese aufgelöst: Einerseits gibt es die Modernisten, die jeden Rückgriff auf Historisches ablehnen. Und anderseits gibt es die Verfechter der möglichst „originalgetreuen“ Rekonstruktion. Diese Tradition beruht auf den technischen Bildern der Fotografie: Eine reflektierte kulturelle Praxis wird abgelöst von einem technischen Verfahren, das den Photogrammetrikern, Ingenieuren, Kunstwissenschaftlern und CAD-Programmieren überlassen wird. Doch es geht auch anders. Das zeigen Projekte wie der Wiederaufbau der Chiado in Lissabon durch Alvaro Siza oder der Paulskirche in Frankfurt Main durch Rudolf Schwarz. Auch beim Wettbewerb für das Berliner Schloss gab es mindestens zwei Versuche, sich der Frage „Wie wollen wir rekonstruieren?“ zu stellen: Der – wenn auch in meinen Augen etwas gescheiterte – Versuch von Max Dudler und der mit dem Sonderpreis prämierte Entwurf von Kühn-Malvezzi. Es sind Versuche, nicht etwas ungeschehen zu machen, sonder aus der Gegenwart heraus das historische Erbe aufzugreifen. Das sind eben keine Eiertänze, sondern das Wagnis, von heute aus eine neue Kultur des Rekonstruierens zu entwickeln.

Erscheint in Bauwelt

Die Kommentfunktion ist nicht aktiviert.