Zurück auf Anfang bei der Schloß-Rekonstruktion!

Seit 1990 hätte man die archäologischen Grabungen am Schlossareal durchführen können. Doch das war nicht gewollt. Bund und Land Berlin ermöglichten die Grabungen erst nach Abschluss des Wettbewerbs. Wenn alles nach Plan gegangen wäre, hätten diese dann keinen wesentlichen Einfluss auf das Schlossprojekt nehmen können. Doch nun kommt alles andere. Uns so sieht Dieter Hoffmann-Axthelm das Scheitern der Architektenbeauftragung als eine Chance, dass über die Rekonstruktion nochmals neu nachgedacht werden kann.

Nahezu gleichzeitig haben sich jetzt zwei Umstände ergeben, die, von völlig unterschiedlichen Seiten her, eine Chance sind, die Rekonstruktion des Berliner Schlosses auf ein befriedigenderes Gleis zu schieben als das, welches das bisherige Verfahren vorsah. Der eine Umstand ist die Entscheidung der Vergabekammer des Bundeskartellamtes, die dem Einspruch von Hans Kollhoff stattgab. Der andere ist die stille Arbeit der Archäologen vor Ort, die in letzter Zeit so viel Originalsubstanz des real existierenden Schlosses freigelegt hat, daß die bisher dem Verfahren zugrunde liegende Vorstellung von Politik und Verwaltung, auf einer tabula rasa ein technisches Bauwerk setzen zu können, welches von außen wie das alte Berliner Stadtschloß aussieht, nicht mehr funktioniert.
Zunächst der Einspruch gegen die Vergabepraxis. Ich unterstelle Kollhoff, daß er geklagt hat nicht, weil nicht er den Zuschlag bekam – Architekten sind von Beruf aus geübt, so etwas verwinden -, und auch nicht, weil er etwas gegen Stella hätte. Geklagt hat er vermutlich, um den administrativen Durchmarsch zu einer Museumsmaschine mit Barockfassade zu stoppen, die weder ausreichend auf Sinn, Geschichte und Gestalt des historischen Schlosses Rücksicht nimmt, noch auf dessen städtebauliche Einbindung in das heutige Berlin.
Die Entscheidung für Stella war ja eine durchaus logische Antwort auf die Forderung der Wettbewerbsausschreibung, eine Hybride zu entwerfen: Der Typus Schloß reicht für den kulturellen Auftrag Humboldt-Forum nicht aus, ein reiner Museumsbau darf es auch nicht sein. Die Ausschreiber hatten sich so herausgewunden, daß sie schlicht Schloß mit Fassade identifizierten, und den Bau des Humboldtforums als technische Infrastruktur behandelten: so, wie man im Autobau Fahrtechnik in eine Karosserieschale einbaut. Dem kam der Stella-Entwurf mit seiner ostentativen Uninteressiertheit an Stadtraum und historischem Material durchaus entgegen.
Das ist nun in der Tat zu wenig. Deshalb sollte man das Richterurteil nicht als Gefahr für den Schloßbau, sondern als Glücksfall ansehen – falls die Chance genutzt wird. Politik und Verwaltung waren auf bestem Wege zu einem instant-Schloß, das im Dienste rascher Baudurchführung und musealer Tauglichkeit so viel an sich mögliche Gestaltsubstanz eingespart hätte, daß es am Ende den großen Aufwand vielleicht gar nicht mehr gelohnt hätte.
Es ist jetzt also Zeit, das Programm zu überprüfen und um die Fehlstellen der bisherigen Planung zu erweitern. Zu berücksichtigen ist da, um nur das Wichtigste zu nennen: Daß beide Höfe erst, und zwar seit 500 Jahren, das Schloß ausmachen; daß da, wo Stella leere Fläche hat, der Ursprungsbau stand, das gotische Schloß von 1442, das, da restlos beseitigt, heute neu zu erfinden ist; daß Fassadenabwicklungen nicht ausreichen, da man es nicht nur mit Schlüter, sondern mindestens mit drei einander kritisierenden barocken Architekturen zu tun hat; daß das Schloß nicht als autistischer Kasten in der Gegend lag, als den ihn Stella rekonstruiert, sondern mit der Stadt vielfach verzahnt war, also die Lange Brücke mit dem Standbild des Großen Kurfürsten, die Wiederherstellung der Breiten Straße, die Stechbahn und, nach Norden, der Apothekenflügel dazugehören; und nicht zuletzt, daß es nicht angeht, ausgerechnet das Merkzeichen des Schlüter-Baues in Richtung Alt-Berlin wegzulassen, das südöstliche Ecktürmchen… Alles das kann jetzt noch einmal bedacht bzw. in den Planungsprozeß wieder eingeführt werden. Auch wenn das Jahre kostete, die Sache ist es wert.
Nun scheint ja (wenn es denn stimmt, daß es in Dahlem nicht schon in die dortigen Museen hineinregnet), daß man im Grunde Zeit hat und keineswegs von den Furien der Krise und des kulturellen Verschwindens gejagt ist, im Bundesministerium das Allerundenkbarste zu sein. Dem kommt nun genau der zweite Umstand zu Hilfe: der von den Archäologen freigelegte Bestand. Von einer voraussetzungslosen Baustelle kann jetzt also keine Rede mehr sein, und das ändert von sich aus schon die Zeitleiste. Man gehe hin und sehe sich das an: Was die Archäologen freigelegt haben, ist originale Bausubstanz des alten Schlosses. Es geht, heißt das, nicht einfach ungefüge Mauermassen und Fundamente oder die Fliesen der Zentralheizungsanlage Wilhelms II. Es geht um nicht weniger als das Untergeschoß der Böhme- und Eosander-Flügel, welches bis zur Pflasterkante so weit erhalten ist, wie nicht die Fundamente des Palasts der Republik darin eingegraben wurden: nicht ungefüge Steinmasse, sondern Geformtes – Räume und Architektur.
Es ist natürlich ein Skandal, daß das erst jetzt zu Tage tritt, und nicht schon vor dem Wettbewerb. Angesichts der Tatsache, daß für wenige zehn- bis zwanzigtausend Euro zumindest eine geophysikalische Untersuchung mit einem präzisen Ergebnis möglich gewesen wäre, liegt der Verdacht nahe, dies sei absichtlich versäumt worden, um das Verfahren nicht noch durch Bindung der Rekonstruktion an archäologische Verfahren zu belasten.
Nun aber ist der Befund da. Es wäre die endgültige Disqualifizierung des Vorhabens, wenn man, um möglichst kostengünstig ein Schloßbild zu bauen, das abbaggern würde, was an realer Schloßarchitektur am Ort vorhanden ist.
Die Folgerung ist klar: Es muß die Methode gewechselt werden, und man wird sich dazu alle nötige Zeit nehmen müssen. Statt um Rekonstruktion eines Bildes geht es von nun an um einen Prozeß wie bei der Dresdener Frauenkirche: das Weiterbauen auf den originalen Fundamenten. Das bedeutet nicht nur ein völlig anderes Zeitmanagement, es verlangt vor allem ein Mehr an Intelligenz, Geduld und Enthusiasmus. Man war schon auf dem besten Wege, alles das zu verspielen.

Zu erst erschienen in Bauwelt 38/2009

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