Erker im Plattenbau – die Entdeckung der historischen Stadt in der DDR

Florian Urban über postmoderne Rekonstruktionen im Ostberliner Zentrum der Achtziger Jahre

Die DDR, ein graues Land, bebaut mit endlosen Reihen von Plattenbaublöcken – so lautet ein noch immer weit verbreitetes Vorurteil. Im zweiten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung ist es nur wenig bekannt, dass auch in der DDR in den späten 1970er Jahren die städtebauliche Moderne zunehmend in Frage gestellt wurde. Auch östlich der Berliner Mauer begannen Planer und Politiker, die Vorstellungen von stetiger tiefgreifender Erneuerung der Städte, von Abriss und Wiederaufbau, zunehmend kritisch zu betrachten.
Auch in der DDR war eine Hinwendung zur alten Stadt zu verzeichnen. Im Ost-Berliner Stadtgefüge sind die Ergebnisse dieser Schwerpunktverschiebung teilweise heute noch zu sehen. Altbauquartiere wie etwa am Arnimplatz in Berlin-Prenzlauer Berg, am Arkonaplatz in Berlin-Mitte und an der Frankfurter Allee in Berlin-Friedrichshain wurden renoviert und modernisiert. Gleichzeitig modifizierte man industrialisierte Bautechniken und errichtete vielerorts Beispiele eines eigenwilligen Historismus aus Fertigteilen. Die innerstädtischen Plattenbauten mit ihren Erkern und Fassadenornamenten – etwa an der Torstraße und Rosenthaler Straße in Berlin-Mitte – sind ein Ergebnis dieses Ansatzes. Die bekanntesten Beispiele für die neue historische Stadt sind jedoch die Prestigeprojekte der späten 1980er Jahre: das Nikolaiviertel, der Platz der Akademie (heute wieder Gendarmenmarkt) und die unvollendet gebliebene Friedrichstraße.
Die Bedeutung der neo-historischen Bauvorhaben in Ost-Berlin liegt nicht in ihrer Menge. Im Vergleich zu den standardisierten Plattenbauten einerseits und den nicht renovierten, zunehmend verfallenden Altbaugebieten andererseits sind die neo-historischen Beispiele quantitativ zu vernachlässigen. Gleichzeitig kommt ihnen auf symbolischer Ebene eine zentrale Position zu, sowohl innerhalb des Fachdiskurses als auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Sie stehen für ein neues Verständnis der Stadt als historisches Kontinuum und damit für eine grundlegende Veränderung des städtebaulichen Leitbildes. Dass eine lebenswerte Stadt ein historisch vermitteltes Stadtbild haben muss, ist heute weitgehend selbstverständlich. In der gegenwärtigen Form entstand diese Vorstellung aber erst in den 1970er Jahren.


Neo-historisches Gebäude am Platz der Akademie (Gendarmenmarkt), erbaut 1980-1983 nach einem Design von Manfred Prasser und Günter Boy. Das Gebäude beherbergte u. a. die Büros der DDR-Blockpartei CDU.

Das Leitbild der „historischen Stadt“ war als intellektuelles Phänomen in Ost-Berlin nicht nur deutlich umfassender und weiter verbreitet, als es die wenigen Bauprojekte suggerieren, sondern es lässt sich auch ein inhaltlicher Bogen von diesen Projekten zur Stadtentwicklung des vereinten Berlins der Nachwendezeit spannen. Diejenigen Stadtviertel, die den Schwerpunkt der Umgestaltungen der späten DDR-Zeiten bildeten, waren schon kurz nach der Wiedervereinigung die attraktivsten Standorte für Wohnen und Geschäftsleben. Das trifft auf die Sophienstraße und die umliegende Spandauer Vorstadt im Bezirk Berlin-Mitte ebenso zu wie auf den südlichen Prenzlauer Berg um den Kollwitzplatz oder auf die Friedrichstraße und den Platz der Akademie (Gendarmenmarkt). Das ist erstaunlich, da Planer und Architekten aus dem Osten von nahezu allen städtebaulichen Projekten der Nachwendezeit ausgeschlossen waren. Die konzeptuelle Verwandtschaft mit den Planungen der späten DDR-Zeit ist dennoch stark zu spüren. Deshalb ist es wichtig, das vergessene letzte Kapitel der DDR-Städtebaugeschichte zu schreiben. Dieser Artikel soll hierzu einen Beitrag liefern.

Eine veränderte Wahrnehmung

Das Bewusstsein, dass die historisch überkommene Stadt einen städtebaulichen und baukulturellen Wert hat, drang erst allmählich seit den 1970er Jahren ins Bewusstsein der Fachleute und einer breiteren Öffentlichkeit vor. Zunehmend überlagerte das Leitbild eines behutsamen Umgangs mit der historischen Stadt die bis dahin vorherrschenden modernistischen Vorstellungen eines durchgreifenden Stadtumbaus. Noch in den 1960er Jahren wurden alte Wohngebäude zumeist als nicht erhaltenswert angesehen. Sie waren sozial und kulturell entwertet. „Alt“ bedeutete im Berliner Fachdiskurs fast immer „vom Ende des 19. Jahrhunderts“.

Gebäude aus früheren Zeiten sind in Berlin selten; die Mietshäuser der Kaiserzeit hingegen machten bis in die 1950er Jahre hinein trotz Kriegszerstörungen noch über zwei Drittel der städtischen Bausubstanz aus. (1) Diese „Gründerzeitquartiere“ – von denen nur ein Teil aus der eigentlichen Gründerzeit kurz nach der Reichsgründung 1871 stammt – wurden beinahe seit ihrer Entstehung aus ästhetischen, sozialen und funktionellen Gründen von einem Großteil der Fachwelt abgelehnt. Das herrschende Zerrbild der „Mietskaserne“ machte diese Gebäude für Armut, Verelendung und Unfreiheit ihrer Bewohner verantwortlich. (2) Die heute selbstverständliche Idee, dass man solche Altbauten auch modernisieren könnte, war keine Option – Altbau und Modernisierung schienen damals unvereinbare Begriffe. Nicht nur die alten Gebäude, sondern die dicht bebaute alte Stadt insgesamt sollte überwunden werden.

Dieses extrem hartnäckige kulturelle Konstrukt setzte sich auch über soziale und typologische Unterschiede in den Mietshäusern der Kaiserzeit hinweg. Es führte in Ost und West zu einer Abrisspolitik, die später von Kritikern als „Zweite Zerstörung Berlins“ verurteilt wurde. In den 1970er Jahren änderte sich diese negative Wahrnehmung schrittweise – auch das war ein Prozess, der parallel in Ost und West stattfand.

Mit der Rehabilitierung der historischen Stadt ging auch eine Reformierung des Fachvokabulars, teils sogar Umdeutung städtebaulicher Begriffe einher. Während der 1950er und 1960er Jahre legitimierten etwa die Begriffe „Lebensdauer“ und „Überalterung“ eine Abrisspolitik, die auf dem Grundgedanken beruhte, dass ein Gebäude nur eine begrenzte „Lebenszeit“ hätte, unabhängig vom baulichen Zustand am Ende des Zyklus. Daraus zogen Stadtplaner und Lokalpolitiker die Konsequenz, dass sämtliche Stadtviertel in bestimmten Abständen, meist alle 60 bis 80 Jahre, abgerissen und in moderner Form wiederaufgebaut werden müssten. (3) Bis in die 1980er Jahre bildete diese Vorstellung einen wesentlichen Hintergrund für die städtebauliche Planung.(4)

Interessanterweise hatten die ersten Befürworter von Altbaurenovierungen nicht die Erhaltung der Altbauten im Sinn, sondern lediglich die Verlängerung der „Lebensdauer“, also eine Verzögerung des Abrisses um wenige Jahrzehnte. Das ist in etlichen Planungsdokumenten, wie etwa zum Arnimplatz, klar ersichtlich. (5) Die unerwartete Popularität der erhaltenden Erneuerung hatte dazu geführt die angebliche „Lebensdauer“ der renovierten Gebäude in den offiziellen Einschätzungen immer weiter auszudehnen – bis auf den Abriss schließlich ganz verzichtet wurde. (6) Damit war das Konzept der „Veralterung“ endgültig überholt. Seit Ende der 1980er Jahre wurde von planerischer und wissenschaftlicher Seite kein im voraus berechnetes Abrissdatum mehr angegeben. (7) Heutige Bauvorschriften beziehen sich ausschließlich auf den Zustand, und nicht mehr auf das Alter eines Gebäudes. Das bedeutet, solange verschleißende Teile regelmäßig instandgehalten und bei Bedarf ausgetauscht werden, ist die Lebenszeit eines Gebäude prinzipiell unendlich. Das Bild der Stadt als Kontinuum hat damit die Idee einer ständigen flächendeckenden Erneuerung abgelöst.

Friedrich, Luther, Schinkel

Die neue Wertschätzung der alten Stadt seit Anfang er 1970er Jahre ging mit einer Umdeutung der Kulturgeschichte früherer Zeiten einher, die man zuvor lediglich als Vorstufe zum Sozialismus betrachtet hatte. Die marxistisch-leninistische Interpretation, nach der Geschichte Fortschritt bedeutet und sämtliche historischen Umwälzungen Schritte auf dem Weg zur sozialistischen Weltherrschaft waren, wurde zwar weiterhin beibehalten, doch richtete man den Fokus nun weniger auf die Umwälzungen als auf das Neue im Alten und die Kontinuität historischer Entwicklungen. Wichtig waren damit nicht mehr nur die revolutionären Arbeiter, Bauern und Handwerker, sondern breite Teile der Bevölkerung früherer Jahrhunderte, Adelige ebenso wie Nichtadelige. Seit Anfang der 1970er Jahre verfolgte die DDR-Führung zudem die Politik der Zweistaatlichkeit und versuchte, die DDR gegenüber dem Westen als eigenständige Nation zu etablieren, was einen Anspruch auf Teile des gesamtdeutschen Kulturerbes einschloss.

Beides spiegelte sich schon bald im Ost-Berliner Stadtbild wider. Etwa das Denkmal von Preußenkönig Friedrich II., das man 1950 aus politischen Gründen entfernt und in den Schlosspark von Sanssouci verbannt hatte, wurde 1981 wieder an seinem alten Standort Unter den Linden aufgestellt.(8) In offiziellen Präsentationen erschien Friedrich nun nicht mehr vordergründig als Imperialist und preußischer Großmachtpolitiker, sondern als aufgeklärter Monarch und Förderer von Freigeistern wie Voltaire. Die Wiederaufstellung anderer Denkmäler folgte.(9) 1983 beging die DDR aufwändig den 500. Geburtstag von Martin Luther. Der Theologe wurde nun als „progressives Element“ präsentiert, weil er der Allmacht der Kirche trotzte – dass er sich in den Bauernkriegen standhaft auf die Seite der Adeligen stellte und keineswegs auf die der unterdrückten Klassen, schien vergessen.(10)

Am folgenreichsten für das Stadtbild war aber der 200. Geburtstag von Karl Friedrich Schinkel im Jahr 1981. Die Schinkel-Ausstellung im Alten Museum trug nicht nur entschieden zu einer neuen Popularität historischer Architektur bei, sondern regte auch Wiederaufbauprojekte an. Schinkels Schauspielhaus am Platz der Akademie (Gendarmenmarkt) wurde drei Jahre später als Konzerthaus neu eröffnet, seine Friedrichswerdersche Kirche als Schinkelmuseum wiedererrichtet und 1984 eingeweiht.

Zur Feier des Alltags

Neben den Inhalten verschob sich auch die Form der geschichtlichen Interessensbekundung. Man konzentrierte sich zunehmend auf Alltagsgeschichte und historische Untersuchungen von kleinsten Zusammenhängen. Ein Beispiel ist der Lehrstuhl für Kulturwissenschaften von Dietrich Mühlberg an der Humboldt-Universität. Mühlberg war seit Anfang der 1980er Jahre als Autor zahlreicher Studien zur Alltagsgeschichte hervorgetreten. In seinem Band „Berliner Arbeiterleben“ von 1983 erschienen der historische Arbeiter und die historische Arbeiterin nicht mehr als Mitglieder einer Klasse, sondern als Individuen, deren alltägliche Praktiken geschichtlichen Wert besitzen, weil sie den Lauf großer Veränderungen widerspiegeln.(11)

Besonders einflussreich waren auch populärwissenschaftliche Veröffentlichungen. Der Journalist Heinz Knobloch verfasste ab Ende der 1970er Jahre zahlreiche sehr anschaulich geschriebene historische Untersuchungen und Biografien, die er sensibel im Stadtbild der Berliner Altbauviertel verankerte. Seine Bücher „Herr Moses in Berlin“ (1979), „Stadtmitte umsteigen“ (1982) und „Zur Feier des Alltags“ (1987) wurden zu Bestsellern.(12) Daniela Dahn, ebenfalls Journalistin, portraitierte die Künstler, Bohemiens und alteingesessenen Bewohner im Gründerzeitviertel Prenzlauer Berg unter dem Titel „Prenzlauer Berg Tour“ (1987).(13) In ihrem Buch wird die Verbindung von bröckelnden Fassaden und Kreativität zu einem kanonischen Bild verschmolzen, das bis heute bestimmend für die Berliner Selbst- und Fremdwahrnehmung ist.

Die Faszination der Menschen für historische Relikte im Berliner Stadtbild ist seit der Wiedervereinigung stärker denn je wahrnehmbar. An jedem Samstag werden im Stadtmagazin TIP über hundert verschiedene Stadtspaziergänge angeboten. Meist sind es junge Stadtführer, die interessierten Einheimischen und Touristen historische Themen wie Arbeiterkämpfe in Kreuzberg, die Künstlerszene in Mitte oder Friedhöfe in Köpenick nahe bringen. Verwitterte Reste im Stadtbild – ob Ladenschilder, Wandreklamen oder Einschusslöcher – werden liebevoll konserviert. Diese Entwicklung ist ein Teil jenes anderen Blickes auf die Stadt, der in den 1970er Jahren nicht nur im Westen, sondern auch in der DDR seinen Anfang nahm.

Die Baupolitik der Honecker-Ära

Die Eckdaten der Ost-Berliner Baupolitik bezeugen die Veränderungen. Das Wohnungsbauprogramm, entwickelt 1971 kurz nach Erich Honeckers Machtübernahme und offiziell 1973 verabschiedet, war gewiss das einschneidendste baupolitische Ereignis der späten DDR. Es war Honeckers liebstes Kind. Unter dem sybillinischen Motto „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ versprach der Staatsratsvorsitzende den DDR-Bürgern wirtschaftliches Wachstum, das ihnen direkt in Form einer Linderung der Wohnungsnot (Sozialpolitik) zugute kommen sollte.(14) Das Wohnungsbauprogramm kündigte den Bau von drei Millionen Wohnungen in der gesamten DDR bis 1990 an.

Auch wenn das Versprechen des Wirtschaftswachstums nur zu einem kleinen Teil eingelöst wurde, wurden etwa zwei Millionen Wohnungen tatsächlich gebaut.(15) Ein städtebauliches Konzept war damit jedoch zunächst nicht verbunden. Man begann, den Großteil der Wohnungen gemäß der in den 1960er Jahren erfolgten Industrialisierung des Bauwesens in Plattenbauweise am Stadtrand zu errichten. Entgegen landläufiger Meinung versetzte das Wohnungsbauprogramm den innerstädtischen Altbauvierteln damit jedoch keineswegs den Todesstoß. Noch in den 1960er Jahren waren die meisten Altbauten mit mehr als einer Familie pro Wohnung besetzt.(16) Erst seitdem zahlreiche Familien in die neu errichteten Plattenbauten am Stadtrand gezogen waren, war der Altbau nicht mehr gleichbedeutend mit Elend und Überfüllung, gleichwohl aber mit unzeitgemäßen und wenig komfortablen Wohnqualitäten. Das Wohnungsbauprogramm schloss also die Modernisierung von Altbauten ein.

Ab 1973 wurde unter großer Medienpräsenz am Arnimplatz das erste großflächige Modernisierungsprojekt gestartet; etwa 2.300 Wohnungen wurden in den darauf folgenden Jahren renoviert und modernisiert.(17) So etwas hatte es zuvor weder im Westen noch im Osten gegeben. Andere Projekte folgten, wie in Berlin-Friedrichshain in der Marchlewskistraße, in der Frankfurter Allee oder im Palisadendreieck.(18) Zum ersten Mal war es nun möglich, die Vorteile einer „modernen“ Wohnung genießen zu können – Innentoiletten, Bäder und fließend warmes Wasser – ohne dabei die kaiserzeitlichen Quartiere verlassen zu müssen. Die funktionale und ästhetische Bewertung der Altbauten wurde damit von der Qualität ihrer sanitären Einrichtungen entkoppelt.

Diese Renovierungsmaßnahmen waren quantitativ bei weitem zuwenig, um den andauernden Verfall in den Altbauquartieren zu stoppen. Sie reichten jedoch aus, um den Ruf der Altbauviertel dauerhaft zu verändern. Zum ersten Mal in ihrer hundertjährigen Geschichte wurden die Mietshäuser der Kaiserzeit nun als adäquate, weil modernisierbare Wohngebäude wahrgenommen. Die weiteren Baugesetze waren ein Ausdruck dieser neuen Einschätzung. 1979 erließ man ein generelles Abrissverbot für alle Gebäude, die nicht als „unbewohnbar“ (Bauzustandsstufe 4) eingestuft wurden.(19) In der Praxis gab es viele Ausnahmen von diesem Verbot; Flächenabrisse wie in den 1960er Jahren waren jetzt jedoch seltener.

Ein programmatischer Schritt in die Richtung, den Wert der Altbausubstanz höher zu gewichten und die alte Stadt behutsam zu erneuern, wurde mit den 1982 proklamierten neuen „Grundsätzen für die sozialistische Entwicklung von Städtebau und Architektur in der DDR“ unternommen. Diese schlossen allerdings Wohnungsneubau in den Altstädten zur Erfüllung des Wohnungsbauprogramms nicht aus, im Gegenteil. Denn in der Hierarchie der Städtebaugrundsätze stand dieses Ziel an erster Stelle.(20)

Historisierende Plattenbauten in der Rosenthaler Straße, der Spandauer Vorstadt und in Berlin-Mitte, 1985-1987

Das bedeutete in der Praxis unter anderem, dass neue Wohngebäude Geschäftsräume im Erdgeschoss enthielten („Funktionsunterlagerung“) und dass sie sich auch formal und ästhetisch an die benachbarten Altbauten anlehnen sollten. Es entstanden Plattenbauten mit historisierenden Elementen. Die Stadtgrundriss des 19. Jahrhunderts wurde damit ästhetisch rehabilitiert.

Gleichzeitig wurde Historizität als Wert etabliert. In den modernisierten Stadtvierteln wurde seit den 1970er Jahren die Anmutung des historisch Überkommenen immer wichtiger. Anders als noch ein Jahrzehnt zuvor wurden etwa Stuckfassaden restauriert, wann immer es die knappen Ressourcen erlaubten. Das Arkonaplatz-Projekt (ca. 900 Wohnungen, beschlossen 1969, ausgeführt etwa Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre) ist ein Beispiel. Die restaurierten Gebäude wurden an vielen Stellen mit historisierenden Dekorationen wie schmiedeeisernen „Zunftzeichen“ oder nostalgischen „Gaslaternen“ ausgestattet. Sofern es noch zu Abrissen kam, wurden Vorderhäuser explizit ausgenommen, um das historische Gefüge des Straßenbildes zu erhalten. Auf den äußeren Eindruck zielten auch die Neubauten mit Schmuckteilen und historischen Formen. Die prachtvollsten Fassaden wurden wieder und wieder in staatlichen Publikationen abgebildet.(21)

Geschichte erleben

In den 1980er Jahren bereitete sich Berlin auf die Feier für das 750-jährige Jubiläum der ersten urkundlichen Erwähnung der Schwesterstadt Cölln im Jahre 1237 vor. Die „750-Jahrfeier“ war besonders im Osten ein wichtiges Ereignis. Da der historische Stadtkern auf Ost-Berliner Gebiet lag und sich damit die wichtigsten historischen Gebäude im Osten befanden, war das Jubiläum für die DDR-Führung ein besonders willkommener Anlass, ihre vermeintliche Überlegenheit zu demonstrieren. Aus historischer Perspektive, das war ausnahmsweise unstrittig, war Ost-Berlin die wichtigere Hälfte der Stadt und der Westen vor allem eine Ansammlung ehemaliger Vororte. Anfragen des Westens nach gemeinsamen Feierlichkeiten lehnte die DDR-Seite daher kühl ab.

Die „geschichtsgerechte“ Umgestaltung der Hauptstadt der DDR begann mit einer Politbüro-Entscheidung von 1976. Hier wurde unter anderem die Restaurierung der Sophienstraße und von Teilen der angrenzenden Spandauer Vorstadt in Berlin-Mitte „als ein Stück Alt-Berlin unter Berücksichtigung historischer Traditionen“ beschlossen; außerdem der Wiederaufbau und Neubau des Platzes der Akademie (Gendarmenmarkt) einschließlich der Deutschen Kirche, der Französischen Kirche und des Schauspielhauses; der Aufbau der Friedrichstraße „als eine vielfältig gestaltete Einkaufs- und Geschäftsstraße“ sowie der Bau einer Uferpromenade im Gebiet des später neu projektierten Nikolaiviertels.(22) Diese und andere Architekturprojekte wurden später zum offiziellen Teil der Feierlichkeiten zum 750-jährigen Bestehen Berlins erhoben.

Sophienstraße, umgestaltet 1983-1987. Im Altbau rechts wurde 1987 die „Altberliner Gaststätte“ Sophieneck eingerichtet. Die Wohngebäude links wurden in Plattenbauweise errichtet, die mit ihren Abmessungen, Fassadengestaltungen und Schrägdächern die Form der Altbauten aufgreifen.

In der Sophienstraße im Stadtbezirk Mitte wurden Gebäude aus dem späten 18. und 19. Jahrhundert renoviert, gleichzeitig richtete man dort Läden und Gaststätten im Alt-Berliner Stil ein. Als Einkaufs- und Vergnügungsstraße mit historischem Flair wurde die Sophienstraße schnell ähnlich populär wie die gleichzeitig renovierte Husemannstraße im Prenzlauer Berg. Beide Projekte wurden 1987 eingeweiht. Auch in der Husemannstraße wurden zahlreiche Gründerzeitgebäude renoviert und der historische Eindruck der Straße durch historisierende Straßenschilder, Laternen, Litfass-Säulen und Ladeninschriften verstärkt. In den „Altberliner“ Kneipen Budike und Restauration 1900, beide 1987 eingerichtet,

Die Kundschaft bestand keineswegs in erster Linie aus Touristen; auch die ortsansässigen Künstler und Individualisten nahmen die neuen Lokale als willkommene Ausweitung des gastronomischen Angebots in ihrer chronisch unterversorgten Heimatstadt an. Im Gründerzeitgebäude Husemannstraße 12 richtete man das „Museum Berliner Arbeiterleben“ ein, in dem Alltagsgeschichte aufgenommen und „zum Anfassen“ präsentiert wurde. Auch hier waren die Arbeiter nicht in erster Linie Mitglieder einer kämpferischen Klasse, sondern Individuen mit persönlichen Sorgen und Nöten und einem sich stetig erweiternden Spielraum für selbstbestimmtes Handeln.

Sowohl in der Husemannstraße als auch in der Sophienstraße überwog ein unspezifischer altertümlicher Eindruck gegenüber dem Anspruch auf historische Genauigkeit. Das Bild „Alt-Berlin“ verwischte sämtliche Unterschiede. Die Sophienstraße war ursprünglich ein kleinbürgerliches Stadtviertel mit einer städtebaulichen Struktur aus dem 18. und Gebäuden aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die Husemannstraße hingegen ein Gründerzeitquartier mit einem großen mittelständischen und einem geringen proletarischen Bevölkerungsanteil. In den offiziellen Darstellungen waren solche Unterscheidungen nicht mehr auszumachen. Beide Quartiere wurden zu „historischen Stadtvierteln“, in denen Geschichte zwischen Korbflechtereien, Geschenkläden und altertümlichen Biertresen „erlebt“ wurde.

Im Stadterneuerungsgebiet Nikolaiviertel wurde von 1983 bis 1987 an der Stelle des mittelalterlichen Stadtkerns eine komplett designte Altstadt errichtet. Teilweise geschah das in Ziegelbauweise, zum größten Teil jedoch in Fertigteilen. Das Viertel, das bereits vor dem Zweiten Weltkrieg nur wenige Gebäude aufwies, die älter als hundert Jahre waren, war im Krieg beinahe total zerstört worden. Nun erstand es als Idealtypus einer historischen Altstadt wieder, mit Boutiquen, Bierkneipen und „Altberliner“ Restaurants. Die Entwürfe des Architekten Günter Stahn belegen, dass der neo-historische Eindruck des Viertels zwar bereits im ersten Plan von 1979 angelegt war, aber im Laufe der Jahre zunehmend mehr Einfluss erhielt. Etwa die auffälligen Giebel aus vorgefertigten Betonplatten – die kaum mit Berliner Taditionen zu verbinden sind – tauchen erstmals in einem Modell von 1983 auf.(23)

Im Gebiet um Friedrichstraße und Platz der Akademie (Gendarmenmarkt) plante die DDR-Führung ein Geschäfts- und Vergnügungszentrum mit historischem Flair. Das Viertel war Anfang des 20. Jahrhunderts ein glamouröser Vergnügungsbezirk und ein Herzstück des Berliner Nachtlebens gewesen. Viele Gebäude wurden im Krieg zerstört. Das Gebiet wurde in den ersten drei Jahrzehnten nach dem Krieg jedoch weitgehend vernachlässigt. Das Friedrichstraßenprojekt wurde erst in den 1980er Jahren begonnen und nur teilweise realisiert. Es hätte alle bisher in der DDR bekannten historisierenden Zentrumsumgestaltungen in den Schatten gestellt. Eine Beschreibung aus dem Ministerium für Bauwesen für die Lichtgestaltung in der Friedrichstraße vermittelt einen Eindruck von diesen Konzepten. Geplant war der „Einsatz moderner Werbemedien wie Großprojektion, freie Laufschriften, zeitgeschaltete Leuchtelemente, Leuchtgestaltungen mit Bewegungseffekten, gekoppelte Licht-Ton-Gestaltungen, die Straße in voller Breite überspannende Leuchtwerbung zu Höhepunkten und Festtagen […] Lichtbänder, Lichtringe […] teleoptische Informationssysteme, Licht-Wasser-Spiele als Skulpturen, Licht-Ton-Spiele, [… und ein] Laser-City-Programm: Durch dieses Programm werden stündlich Informationen zur Zeit […] und zu Umweltdaten […] vermittelt. Das Programm ist ein mehrfarbiger, künstlerisch gestalteter Laserstrahlenbündel, das die Friedrichstraße durchläuft.“(24)

Ähnlich beeindruckend lesen sich die Beschreibungen des ambitionierten Einkaufszentrums „Passagen Friedrichstadt“, das sich zwischen Französischer Straße und Mohrenstraße über drei Häuserblöcke erstrecken sollte. Es hätte eine mit einem amerikanischen Shopping Center vergleichbare Konsumwelt bieten sollen. „Diese Sinneswelt unterstützend ist dieser Weg [durch die Innenräume] mit vielen Möglichkeiten des Verweilens mit und ohne gastronomische Versorgung ausgestattet. Im Mittelabschnitt werden von dieser Ebene aus der Palmengarten und die Nachtbar erschlossen […]. Am südlichen Endpunkt mündet die Galerieebene in der Passage in eine atriumartige Kaufhalle, die von einer Lichtkuppel überdacht ist.“(25) Heute befinden sich an der gleichen Stelle das Kaufhaus Galleries Lafayette (Architekt Jean Nouvel) und die Einkaufszentren „Quartier 206“ (Architekt I. M. Pei) und „Quartier 205“ (Architekt O. M. Ungers) – die Beschreibung aus DDR-Zeiten trifft in vielen Punkten auch auf die heutigen Gebäude zu.

Das Dom-Hotel (heute Hilton) am Platz der Akademie (Gendarmenmarkt), erbaut 1989 nach einem Entwurf von Bernd Seidel; im Vordergrund die Deutsche Kirche, erbaut 1701, im Zweiten Weltkrieg zerstört, wiedererrichtet ab 1984.

Wie im Nikolaiviertel, in der Husemannstraße und in der Sophienstraße wurde auch in der Friedrichstraße das historische Thema eingesetzt, um individuelles Erleben zu generieren. Die Stadträume sind minutiös gestaltet, um spezifische Erfahrungen zu vermitteln. Die Ästhetik der Einkaufspassagen sollte offensichtlich einen ähnlichen Einfluss auf die Empfindungen der Besucher haben wie jene in den kapitalistischen Malls. Hervorzuheben sind auch die offensichtlichen Zugangsbeschränkungen zu vielen Gebäuden. Die Beschreibungen und Pläne schweigen sich darüber aus, wie das Einkaufszentrum „Passagen Friedrichsstadt“ mit den in den Plänen erwähnten Konsumgütern ausgestattet worden wäre. Man weiß es für die zwei an der Friedrichstraße geplanten Intershops. Hier konnte man nur mit frei konvertiblen Währungen einkaufen – für die Mehrzahl der DDR-Bürger ein kaum erreichbarer Luxus. Die Fünf-Sterne-Unterkünfte Grand-Hotel (heute Westin Grand Hotel, erbaut 1984) und Dom-Hotel (heute Hilton, erbaut 1989) waren für Besucher aus dem westlichen Ausland reserviert. Auch die zweistöckigen Maisonettenwohnungen mit Dachterrassen, die nur teilweise fertig gestellt wurden, waren nicht für den durchschnittlichen DDR-Bürger bestimmt, sondern für Mitglieder der sozialistischen Elite.

Bereits Mitte der 1980er Jahre registrierte die DDR-Führung, dass die Wirtschaft ihres Landes nicht stark genug war, dieses Vorhaben weiter zu betreiben. Die Ausstattung der einzelnen Gebäude wurde nach und nach heruntergestuft und der Bau verzögerte sich weiter bis zum Ende der DDR. Nach der Wiedervereinigung wurden einige halb fertige Gebäude abgerissen und die Straße von Architekten aus der Bundesrepublik und dem westlichen Ausland neu gestaltet – zwar auf dem historischen Stadtrgrundriss, jedoch nicht in historisierender Formensparche.

Sowohl im Nikolaiviertel als auch an der Friedrichstraße und am Platz der Akademie wurden die neohistorischen Formen von kaum einer zeitgenössischen Quelle als Bruch mit den architektonischen Prinzipien des benachbarten Palastes der Republik gesehen, der 1973-1976 im modernen Stil errichtet wurde. Sogar die Architekten der modernen Bauwerke waren teilweise dieselben wie die der neohistorischen Projekte. Manfred Prasser entwarf den Großen Saal im Palast der Republik und wenige Jahre später die historisierenden Fassaden am Platz der Akademie. Günter Stahn war der Architekt des spätmodernen Pionierpalastes in der Wuhlheide und später des historisierenden Nikolaiviertels. Heinz Mehlan designte die Hochhausblöcke am Leninplatz (heute Platz der Vereinten Nationen) und leitete später den „Bereich Historische Bauten“ in der Ost-Berliner Stadtbaudirektion, der unter anderem für die Fassadengestaltung im Nikolaiviertel verantwortlich war.

Auch die übergeordneten Beamten waren teilweise dieselben. Die mächtige „Abteilung Sondervorhaben“, die direkt dem Zentralkomitee unterstand, wurde ursprünglich zur Überwachung des Palastes der Republik gegründet und von Ehrhardt Gißke, dem Generaldirektor der Baudirektion Hauptstadt Berlin, geleitet. Sie steuerte nicht nur Ost-Berlins prominenteste neohistorische Projekte wie die Friedrichstraße, das Nikolaiviertel und den Platz der Akademie, sondern gleichzeitig auch eine Vielzahl von Bauvorhaben im modernen Stil, wie etwa das Charité-Hochhaus und das Internationale Handelszentrum am Bahnhof Friedrichstraße. Die neue historische Stadt, so wie sie in Ostdeutschland zwischen 1970 und 1990 entstand, baute also auf der architektonischen und städtebaulichen Moderne auf, mit der sie viele Aspekte teilte – nicht zuletzt die Vision eines minutiös durchgestalteten Stadtraumes.

Fazit

Die historische Stadt in der DDR war kein spezifisches Produkt des Sozialismus. Der Städtebau in der späten DDR entwickelte sich parallel und im Zusammenhang mit ähnlichen Entwicklungen im Westen. In der DDR wurden Leitbilder aufgenommen und im Rahmen des nur sehr begrenzt flexiblen realsozialistischen Systems angepasst und weiterentwickelt.
Dabei ist die Ähnlichkeit mit manchen westdeutschen Projekten nicht als Nachahmung zu sehen. In manchen Bereichen nahmen die ostdeutschen Städtebauprojekte ähnliche Entwicklungen im Westen sogar voraus. Ein Beispiel ist die ab 1973 erfolgte großflächige Sanierung des Arnimplatzgebietes, die als Vorläufer der West-Berliner „Behutsamen Stadterneuerung“ gelten kann.(26)  Auch der historisierend-interpretative Neuaufbau des Platzes der Akademie (Gendarmenmarkt), begonnen 1979, zeigt Parallelen zu späteren neo-historischen Projekten in der Bundesrepublik, etwa dem Wiederaufbau des Frankfurter Römerbergs 1981 bis 1984.
Die DDR-Städtebaupolitik seit den späten 1970er Jahren folgte einer globalen Entwicklung. Ähnliche Ansätze waren zu jener Zeit in vielen Ländern Europas und Nordamerikas wahrzunehmen. Ein weltweiter kultureller Wandel wurde hier im Rahmen des sozialistischen Systems aufgenommen und innerhalb der engen Grenzen des politisch und wirtschaftlich Machbaren auf eigene Weise gestaltet. Die historische Stadt vereinigte die visuellen Eindrücke verschiedener historischer Perioden zu einem unspezifischen Konglomerat. Auf programmatischer Ebene bedeutete sie Unterhaltung und Konsum, auf kultureller Ebene erlaubte sie eine Interaktion mit der städtischen Vergangenheit, die gleichzeitig individualisiert und losgelöst von der ursprünglichen Geschichtskonstruktion stattfand. Für die DDR-Führung war das besonders attraktiv: Man konnte sich geschichtsbewusst geben, ohne sich mit Geschichte tatsächlich auseinandersetzen zu müssen. Die zahlreichen Fallstricke der offiziellen Geschichtsschreibung mit ihren ideologisch bedingen Ausblendungen und Modifikationen wurden damit geschickt umgangen.
Die historische Stadt, so wie sie in Ost-Berlin entstand, nahm viele Aspekte der Umstrukturierung voraus, die sich nach der Wiedervereinigung ereignete. Man verabschiedete sich von dem modernen Ideal gleicher Wohnbedingungen für alle und akzeptierte auch im Städtebau soziale Ungleichheit. Obwohl soziale Unterschiede in der DDR sehr viel geringer ausgeprägt waren als in kapitalistischen Ländern, wurden diese Unterschiede nun erneut im Stadtbild festgeschrieben. Die neuen Räume des Konsums, wie etwa Intershops und Interhotels, waren mit Zugangsbeschränkungen belegt. Privilegierte Schichten kehrten ins Stadtzentrum zurück. Die Innenstadt wurde wieder explizit zu einem Zentrum für Kommerz und Konsum; dabei bediente man sich realer und imaginärer Geschichte.
In Anbetracht der zahlreichen Parallelen in der Stadtentwicklung in beiden Teilen Berlins kann die Vorstellung zweier gegenläufiger Entwicklungen nicht länger aufrechterhalten werden. In städtebaulicher Hinsicht war das Ende der DDR keineswegs eine Stunde Null; vielmehr gab es eine erstaunliche Kontinuität der städtebaulichen Prinzipien vor und nach der Wiedervereinigung.

Anmerkungen:

1 Eine Gebäudezählung von 1949/1950 listet 69 % der Ost-Berliner und 74 % der West-Berliner Gebäude als „vor 1918 erbaut“ auf. 1970/1971 waren es immerhin noch 52 % (Ost) und 45 % (West) (Günter Peters: Gesamtberliner Stadtentwicklung von 1949-1990. Daten und Grafiken, Berlin 1992, S. 22).

2 Für eine Darstellung des kulturellen Konstruktes der Mietskaserne seit ihrer Entstehung vgl. Harald Bodenschatz: Platz frei für das Neue Berlin! Geschichte der Stadterneuerung in der „größten Mietskasernenstadt der Welt“ seit 1871, Berlin 1987. Für eine typologische Charakterisierung dieser Gebäude vgl. Johann Friedrich Geist und Klaus Kürvers: Das Berliner Mietshaus, 3 Bände. Bd. 1 1740-1862, Bd. 2 1862-1945, Bd. 3 1945-1989, München 1980, 1984, 1989.

3 Für eine Geschichte des Konzeptes „Überalterung“ (Obsoleszenz) im städtebaulichen Kontext vgl. beispielsweise Daniel Abramson: Obsolescence: Notes towards a history, in: Praxis 5, 2003: S. 106-112.

4 Vgl. Peter Doehler: Planungsgrundlagen zur sozialistischen Umgestaltung der Wohnbausubstanz von Altbaugebieten insbesondere Städte über 10.000 Einwohner im Zeitraum 1965-1980, Diss., Ost-Berlin 1961. Vgl. auch „Ökonomische Direktive zur Ausarbeitung des Planes Erhaltung des Wohnungsbestandes im Jahre 1965“ erstellt von der Ost-Berliner Bezirksplankommission, datiert 06.06.1964, Landesarchiv Berlin C Rep 131 Nr. 9/10, 555.

5 In der Dissertation von Günter Peters wird das besonders deutlich. Peters war seit 1966 Baudirektor des Bezirks (Ost-)Berlin und als höchster städtischer Baubeamter für die Renovierung direkt verantwortlich. Seine Doktorarbeit, eine städtebauliche Untersuchung von Altbaugebieten im Allgemeinen und des Arnimplatzgebietes im Speziellen, bildete die Grundlage für den Magistratsbeschluss zur Renovierung am Arnimplatz (Peters: Modernisierungsmaßnahmen , S. 23-24 und 161).

6 In den Jahren 1977 bis 1978 besuchten im Laufe von achtzehn Monate 56 Delegationen den Arnimplatz, darunter eine Gruppe Auslandskorrespondenten aus Norwegen, ein „Freundschaftskomitee“ aus Paris, der Erste Sekretär des Stadtkomitees Ulan Bator, die UNO-Baukommission und der Tagesspiegel aus West-Berlin (Heinz Schmaida, Brief an den Ersten Sekretär der Stadtbezirksleitung der SED, Ernst Heinz, vom 4.07.1978 Landesarchiv Berlin C Rep 902, 4477).

7 Vgl. etwa die Einschätzung von Architekt Kurt Wilde kurz vor dem Ende der DDR. „Der Beweis zum ‚erforderlichen Neubau’ ist ein ‚Beweis’ durch Augenscheinlichkeit…“. Die zuweilen angegebene Grenze der Lebensdauer von Bauten ‚von 100 Jahren’ ist eine normative Grenze, keine absolut zwingende!“ (Kurt Wilde: Prinzipielle Überlegungen zur Einheit von Neubau, Erhaltung und Modernisierung“, in: Architektur der DDR 2/1990, S. 50-51).

8 Die Wiederaufstellung wurde im Politbüro entschieden, leider ohne weitere Angaben im Protokoll (Protokoll der Politbüro-Sitzung am 10. Juni 1980, Tagesordnungspunkt 15. Bundesarchiv Berlin DY 30/J IV 2/2 1843).

9 1981 stellte man auch die Bronzestatue des Freiherrn vom Stein wieder Unter den Linden auf, mit der Begründung „Freiherr vom und zum Stein war ein Vertreter jener liberalen Adelsreformer, die der napoleonischen Fremdherrschaft trotzten und mit bürgerlichen Reformen fortschrittsfördernd wirkten.“ (Wolfgang Junker und Konrad Naumann: Vorschlag zur Wiedererrichtung des Denkmals für Freiherr vom Stein, am 3.11.1980, Bundesarchiv Berlin DY 30/2842: 394).

10 Vgl. Konstituierung des „Luther-Komitees“ (Protokoll der Politbüro-Sitzung am 10. Juni 1980, Tagesordnungspunkt 15. Bundesarchiv Berlin DY 30/J IV 2/2 1843).

11 Dietrich Mühlberg (Hg., Autorenkollektiv): Arbeiterleben in Berlin um 1900, Ost-Berlin 1983.

12 Heinz Knobloch (1926-2003) war als Historiker Autodidakt. Über Jahrzehnte schrieb er für die Zeitung Morgenpost seine sehr beliebten Kolumnen. Unter seinen über 50 Büchern vgl. besonders Heinz Knobloch: Herr Moses in Berlin, Ost-Berlin 1979 und Stadtmitte umsteigen, Ost-Berlin 1982; und die Sammlung seiner Wochenpost-Kolumnen: Zur Feier des Alltags, Halle 1987.

13 Daniela Dahn: Prenzlauer Berg-Tour, Halle 1987, in der Bundesrepublik veröffentlicht als Kunst und Kohle – die Szene am Prenzlauer Berg, Berlin, DDR, Darmstadt 1987.

14 Wolfgang Junker: Das Wohnungsbauprogramm der Deutschen Demokratischen Republik für die Jahre 1976 bis 1990, in: Protokoll der 10. Tagung des Zentralkomitees, Bd. 2, Hg. vom Büro des Politbüros, Ost-Berlin 1973, S. 5 [Kopie im Bundesarchiv Berlin DY 30 IV 2/1 479] und Wolfgang Junker: Das Wohnungsbauprogramm der DDR für die Jahre 1976-1990, in: Deutsche Architektur 12, 1973), S. 708.

15 Zu DDR-Zeiten wurde nie offiziell zugegeben, dass man den Plan nicht erfüllte. Die Zahl von ca. zwei Millionen stammt von westdeutschen Historikern, nachdem sie nach dem Ende der DDR die offiziellen Akten einsehen konnten (Hannsjörg Buck: Wohnungsversorgung, Stadtgestaltung und Stadtverfall, in: Eberhard Kuhrt (Hg.): Am Ende des Realen Sozialismus, Bd. 2, Opladen: 1996, S. 72-73).

16 Vgl. etwa die Mieterliste des Hauses Choriner Str. 77 aus dem Jahre 1964, eines typischen Altbaus in Berlin-Mitte. Zweizimmerwohnungen sind durchweg mit zwei meist dreiköpfigen Familien belegt. Landesarchiv Berlin C Rep 131 Nr. 9, 553.

17 Direktive des Magistrats vom 09.05.1972, abgedruckt in: Peters: Modernisierungsmaßnahmen, A73.

18 Vgl. Horst Adami und Ingeborg Pallaske: Mit der Kraft der ganzen Republik. Wohnungsbau in Berlin 1984-1986, Ost-Berlin 1987, S. 115.

19 „Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Planung, Vorbereitung und Durchführung von Folgeinvestitionen – Abriß von Gebäuden und baulichen Anlagen vom 18.9.1979”, in: Gesetzblatt der DDR I, Nr. 34 (19.10.1979), S. 325-326.

20 „Grundsätze für die sozialistische Entwicklung von Städtebau und Architektur in der DDR – Beschluß des Politbüros des ZK der SED und des Ministerrates der DDR“, in: Neues Deutschland vom 29. Mai 1982, S. 9-10.

21 Vgl. etwa die Titelseiten von Architektur der DDR 1, 1975 und 7, 1976. Das Bild der prachtvollen Stuckfassade an der Schönfließer Str. 6 am Arnimplatz wurde in mindestens sechs weiteren Fällen veröffentlicht.

22 „Aufgaben zur Entwicklung der Hauptstadt der DDR, Berlin“, Sitzung des Politbüros vom 3. Februar 1976, Bundesarchiv Berlin DY 30/J IV 2/2 1602 (Reinschrift) und DY 30/J IV 2/2A 1950 (Arbeitsprotokoll).

23 Vgl. hierzu die Fotos des Wettbewerbsbeitrags von Günter Stahn von 1979 im Fotoarchiv des Instituts für Regionalplanung und Strukturentwicklung Erkner.

24 Beschlussvorlage für die Lichtgestaltung in der Friedrichstraße, gezeichnet „Herrmann“ (Leiter der Abteilung Vorhaben Industrie und Stadttechnik im Ministerium für Bauwesen) vom November 1985, außerdem Brief von Herrmann an Staatssekretär Karl-Heinz Martini vom 6. November 1986 Bundesarchiv Berlin DH 1/35504.

25 VEB BMK Ingenieurhochbau Berlin, [„Entwurf für die Passagen Friedrichstadt“], in Auftrag gegeben vom Ministerium für Bauwesen im Juni 1986 und fertig gestellt am 31. März 1987 (Bundesarchiv Berlin DH 1/36355, S. 5).

26 Zum Beispiel betonte der West-Berliner Stadtplaner Gustav (Hardt-Waltherr) Hämer die Bedeutung des Arnimplatzes für seinen beruflichen Werdegang. Hämer kämpfte in den späten 1960er Jahren für den Erhalt von Altbauten im Wedding und wurde einer der Pioniere der Behutsamen Stadterneuerung. Er besuchte den Arnimplatz zum ersten Mal 1973, und sein Besuch hinterließ bleibende Eindrücke (Gustav Hämer, Interview mit dem Autor, Berlin, 12.05.2004).

Der Artikel beruht auf einer Präsentation im Rahmen der 9. Werkstattgespräch zur DDR-Planungsgeschichte, gehalten im Januar 2007 im Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, Erkner. Eine überarbeitete Form dieser Präsentation wird erscheinen in: Betker, Frank und Carsten Benke, eds., Kontinuitätslinien und Paradigmenwechsel in Städtebau und Architektur (Erkner bei Berlin: IRS, 2009).
Siehe auch: Florian Urban, Berlin/DDR, neohistorisch – Geschichte aus Fertigteilen (Berlin: Gebrüder Mann, 2007) und Neo-historical East Berlin – Architecture and Urban Design in the German Democratic Republic 1970-1990 (Surrey: Ashgate, 2009).

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