Das Sparschloss

Am 7. Juni wurde die Verschiebung des Baus des Berliner Schloss als Teil des Sparpakets der Bundesregierung beschlossen. Die Regierung will damit den Haushalt entlasten, während andere kritisieren, dass mit dem Beschluss gar nichts gesparrt wird, im Gegenteil. Ein Text zu den Hintergründen der Diskussion und dem Stand der Dinge von Philipp Oswalt.

Am 7. Juni wurde die Verschiebung des Baus des Berliner Schloss zum Symbol des Sparpakets der Bundesregierung. Fast jeder Bericht über die geplanten Einsparungen von 80 Milliarden Euro  wurde mit dem Bild des Berliner Schlosses illustriert. Kein anderer Sparbeschluss konnte sich so breiter Zustimmung sichern. Es war vornehmlich eine symbolische Geste. Wie eigentlich fast alles an dem Berliner Schloss nur symbolische Gesten sind.

Schnell wurde eine neue Geste dazuerfunden: Eine symbolische Grundsteinlegung in 2013. Der Baubeginn will man vor der nächsten Bundestagswahl inszenieren und das Finanzierungsproblem der nächsten Regierung überlassen. Doch das ist nicht alles.

Die Schlossfreunde ließen nicht lange warten, um das Bild des Sparschlosses umzudeuten. Nicht durch den Verzicht auf den Baus soll gespart werden, sondern nun wird vorgerechnet, der Bau des Schlosses sei das eigentliche Sparpaket. Durch einen (vorläufigen) Verzicht ließen sich keine Kosten einsparen, der Bau des Schlosses sei billiger als sein Verzicht.

Das ist absurd. Laut Bericht des Bundesfinanzministerium vom November 2007 hat der Bund 440 Mio. Euro Investitionskosten für das Schloss zu tragen, das Land Berlin 32 Mio. Euro und der Förderverein 80 Mio. für die Barockfassaden. Die Einnahmen des Vereins sind jedoch seit Jahren rückläufig. Und von den binnen 8 Jahren eingenommen 13,5 Mio. Euro hat der Verein mehr als 10 Mio. bereits wieder ausgegeben und zwischenzeitlich sogar Geld vom Bund zur Finanzierung seiner Tätigkeit eingefordert. Insofern ist allen Beteiligten klar, dass eine Spendenfinanzierung der Fassade nicht erzielbar ist, weshalb ja Bundesbauminister Ramsauer provozierend vorschlug, auf die barocke Fassade zu verzichten. Dazu wird es nicht kommen und letztendlich müsste der Bund die Fassadenkosten übernehmen. Ferner sind in der Planung mit Kuppel, Fassaden des Eosanderhofs und teilweiser Bewahrung der Originalfundamente und –keller Mehrkosten von 50 – 100 Mio. Euro vorgesehen.  Zusammen genommen liegen die Investitionskosten des Bundes damit bei 550 – 600  Mio. Euro. Davon waren in der Haushaltplanung 2011-2013 nur 310 Mio. Euro vorgesehen, obgleich der Bauminister von einer Einsparung von 400 Mio. Euro sprach. Das war eine Verfälschung der Dinge. Letztendlich relevant ist aber nicht das, was in der Haushaltplanung dargestellt war, sondern das, was an Kosten gezahlt werden muss. Und dies sind nach heutigem Wissen weder 310 Mio.  noch 400 Mio., sondern etwa 550 Mio. Euro.

Dazu kommt noch etwas weiteres: Bislang in der ganzen Kostendiskussion ausgespart sind die Betriebs- und Instandhaltungskosten, die sich jährlich auf einen größeren Millionen Betrag belaufen und längerfristig die Erstellungskosten übersteigen. Hinzu kommen die Kosten für die bislang nicht existenten Bausteine des Kulturprogramm wie der Agora, der erweiterten Ausstellungsflächen, den Werkstätten des Wissens  und vieles mehr. Nur ein sehr geringerer Anteil wird aus Einnahmen refinanziert werden können. Bislang sagte man, die Betriebskosten müssten die Nutzer aus ihren Etats aufbringen. Aber bereits heute kann die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in ihren Häusern wegen mangelnder Finanzen den Betrieb kaum aufrecht erhalten und ist nicht in der Lage, diese Mehrkosten zu tragen. Der fromme Wunsch des Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum, die Kosten mit Hilfe von Spendern und Sponsoren zu finanzieren ist angesichts des Spendendebakels der Fassade ein illusorischer Wunschtraum. Kein Wunder, dass der Bauherr die bereits ermittelten Betriebskosten geheim hält und weder den Bundestagsabgeordneten noch der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich macht, würde dies doch den Zweifel an dem Vorhaben vermehren. Hamburg macht gerade vor, was eine solch kurzsichtige Politik bedeutet: Während die Kosten für die Elbphilharmonie fast monatlich um Dutzende von Millionen steigen, schließt die Stadt die Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle, um Betriebskosten von im Vergleich dazu lächerlichen 220.000 Euro zu sparen.

Während die Lobbyisten des Schlossbaus – ob Berliner Politiker, die Bauwirtschaft und die Nutzer – die eingesparten Investitionen bei Bauverzicht für das Schloss auf 310 Mio. Euro herunterreden, entwerfen sie eine Drohkulisse von neuen Problemen  und gigantischen Mehrkosten bei einer Verschiebung oder gar Aufgabe des Projektes. Die Berliner Bundestagsabgeordnete Petra Merkel warnt vor einer Verzögerung beim Bau der U5 und suggeriert damit Mehrkosten, obwohl laut BVG die neue Situation das Bauvorhaben eher erleichtert. Die Berliner Baukammer streut das völlig unbegründete Gerücht auf Schadensersatzforderungen bei einem vorläufigen Stopp für das Berliner Schloss. Und der Präsident der Stiftung Preussischer Kulturbesitz Hermann Parzinger spricht von 200 Mio. Euro für die dann notwendige Sanierung der Dahlemer Bauten und behauptet sogar: „Im Endeffekt wird’s teurer“.

Beim Berliner Schlossprojekt wurde – ähnlich wie bei der gleichzeitig auf den Weg gebrachten Hamburger Elbphilarmonie – von Anfang an die Zahlen geschönt, um Mehrheiten für das Projekt zu gewinnen. Denn Anfang machte die Expertenkommission historische Mitte von 2001/ 2002.  Aufgrund von Spenden, public-private-Partnership und Aktien sei der Wiederaufbau des Schlosses als Humboldtforum für die öffentliche Ahnd angeblich nahezu zum Nulltarif zu haben. Im Abschlussberichts der Kommission hieß es: „Die von der öffentlichen Hand im Verlauf mehrerer Jahre insgesamt aufzubringenden 230 Mio. € sind bei wirtschaftlicher Betrachtung mittelfristig in hohem Ausmaß gegenfinanziert durch zu erwartende Einsparungen an anderer Stelle und Veräußerungserlöse, insbesondere durch die Aufgabe des dritten Standortes der Museen Preußischer Kulturbesitz in Dahlem sowie das Freiwerden des Grundstücks.“ Auf Basis dieser Behauptung fällte der Bundestag 2002 seinen Beschluss für den Wiederaufbau des Schlosses. Bei näherer Betrachtung durch das Finanzministerium fiel das Finanzierungsmodell ein Jahr später in sich zusammen.

Die Mehrkosten für die Barockfassaden kosten angeblich nur 80 Mio. Euro, nach den internen Kostenschätzung des Bundes von 2007 aber 110 Mio. (und die Gesamtkosten der Barockfassaden liegen bei 140 Mio. Euro). Seit Jahren poliert der Förderverein Berliner Schloss sein mageres Spendenergebnis mit „verbindlichen Spendenzusagen“ in der Höhe 7 – 8 Millionen Euro auf. Doch bereist eine stichpunkartige Überprüfung durch einen Wirtschaftsprüfer ergab, das für diese teilweise keine schriftlichen Vereinbarungen vorliegen und sie damit auch nicht belastbar sind, soweit sie überhaupt jemals gemacht worden sind. Zugleich verschweigt der Verein, dass ein großer Teil der eingenommen Spenden von Kosten für Organisation und Werbung verzerrt werden. Die Abrisskosten für den Palast wurden vor der Abrissentscheidung von zunächst 20 Mio. Euro auf 12 Mio. Euro heruntergerechnet und beliefen sich am Ende auf 32 Mio. Euro. Auf diese Weise wurden stets die Kosten für das, was man sich ersehnte, heruntergerechnet und die Einnahmen hierfür aufpoliert. Und mit umgekehrten Rechenspielen versuchte man zu verhindern, was man nicht wollte. Die Herrichtung des Palastes der Republik zur Zwischennutzung kostete laut Bund angeblich 15 Mio. und wäre damit unbezahlbar gewesen, de facto waren es dann weniger als 300.000 Euro. Das Land Berlin konnte angeblich nur eine Summe von 32 Mio .Euro für seinen Gebäudeanteil im Schloss aufbringen, was offenkundig eine Rücksicht auf die mitregierende Links-Partei war. Deswegen soll nur ein Bruchteil der Landesbibliothek in das Humboldtforum einziehen. Doch kaum war der Schlosswettbewerb entschieden, schlug die Berliner Landesregierung einen Bibliotheksneubau für 250 Mio. Euro in Tempelhof oder auf dem Marx-Engels-Forum vor.

Die jeweils genannten Kosten und Einnahmen spiegeln keine realen Zahlen wieder. Vielmehr liegt der Informationsgehalt der Zahlenwerke in der Differenz zwischen den realen und den genannten Zahlen, deren Größe ein zuverlässiger Maßstab für die Unverfrorenheit des jeweils Argumentierenden ist und seine Angst, wie sehr ungeschönte Fakten eine Realisierung des Vorhabens be- oder verhindern könnten. Erst die nüchterne Betrachtung von den Haushalts- und Finanzexperten bringt die Sachverhalte wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Diese schrieben bereits im Abschlussbericht der interministeriellen Arbeitsgruppe 2003: „Angesichts der Haushaltslage des Bundes und der Länder empfiehlt die Arbeitsgruppe, die Entscheidung über die konkrete Inangriffnahme der Bebauung des Schlossareals erst dann zu treffen, wenn die eingeleiteten Reformmaßnahmen der Bundesregierung greifen und sich die wirtschaftliche und haushaltsmäßige Situation des Bundes gebessert hat. Derzeit sind Millionenbeträge zum Neubau des Humboldt-Forums vor dem Hintergrund der Kürzungen in den unterschiedlichsten Politikbereichen den Bürgern nicht darstellbar.“ Nach sieben Jahren hat sich anders als damals vermutet diese Problematik nicht entschärft, sondern dramatisch zugespitzt.

Dabei geht es nicht um die bloße Frage von Geld. Natürlich gibt es gerade im Haushalt des Bundesbauministerium genügend andere, weitaus teure Projekte – sei es Stuttgart 21, sei es der Neubau der Autobahn A 14 – , die nicht minder fragwürdig sind. Es geht darum, ob dass, was jetzt zur Realisierung vorgesehen ist, qualitativ überzeugt und den notwendigen Aufwand rechtfertigt. Vor acht Jahren hat der Bundestag versucht, einen nationalen Konsens mit allen im Bundestag vertretenen Parteien herzustellen, in dem ein Paket geschnürt wurde, welches Interessen aller Fraktionen adressiert – von der Linken bis zum konservativen Flügel der CDU/CSU. Während die Agora die spätsozialistische Träumereien der Linken befriedigen soll und bei diesen Erinnerungen an den Palast der Republik erweckt, erhalten die „Kulturkonservativen“ das Bild des preußischen Königsschlosses und für die Grünen gibt es Multikulti. Diese Widersprüchlichkeit  spiegelt schon der sperrige Doppelname des Projektes wieder: „Berliner Schloss – Humboldtforum“. Entgegen dieser vermeintlichen Offenheit jedoch wurde seit 2002 das ganze zu einem ideologischen Dogma gemacht, die Rekonstruktionsvorstellungen zunehmend orthodoxer. Das Projekt blieb über all die Jahre ein politisches, das sich nie kulturell entfaltete. Jedes Problem, jede Widersprüchlichkeit und jede Kritik wurde ignoriert; man hat sich immer tiefer in einen Stellungskampf eingegraben. Das Projekt hat mit Kritik nicht dazugelernt und ist an seine Widersprüchen nicht gewachsen, sondern es hat mit seiner Konkretisierung zunehmend verloren – an Überzeugungskraft und Unterstützung in der Öffentlichkeit. Seit  Jahren rückläufige Spenden sind dafür ebenso Indiz wie das katastrophale Umfrageergebnis vor wenigen Wochen und die öffentliche Distanzierung von einst glühenden Verfechtern des Projektes. Der Sparbeschluss wurde von der Medienlandschaft fast ausnahmslos mit Erleichterung aufgenommen.

Das ist insofern tragisch, als für das Berliner Schlossareal nur eine öffentlich finanzierte, kulturelle Nutzung eine sinnvolle Option ist. Die Festlegung auf das „Berliner Schloss – Humboldtforum“ aber hat in eine Sackgasse geführt.

Als 2003 bereits schon einmal ein Moratorium für das Schlossprojekt verkündet wurde, beschloss der Bundestag der vorgezogenen Palastabriss und die Planung. Den Finanzierungsproblemen zum Trotz wollte man das Projekt in Gang bringen. Was damals als clever erschien, könnte heute das Ende des Projektes besiegeln: Die sperrige Palastruine hätte eine baldige Neugestaltung erzwungen; mit der grünen Wiese kann einstweilen jeder seinen Frieden schließen.

In gekürzter Fassung erschienen in Der Tagesspiegel vom 18.6.2010

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