Garnisonkirche Potsdam – ein Ort der radikalen Rechten

Politisch brisanter als der Wiederaufbau der Berliner Schlossfassaden ist Rekonstruktion der Potsdamer Garnisonkirche. Als Gotteshaus braucht sie keiner, als Symbol ist sie angeblich wichtig. Aber wofür? Von Philipp Oswalt


Im Oktober soll mit dem Nachbau der Garnisonkirche Potsdam begonnen werden. Bundespräsident Steinmeier hat kürzlich die Schirmherrschaft übernommen, der Bund finanziert 12,4 der 26 Millionen Euro Kosten für den ersten Bauabschnitt, weitere staatliche Mittel im Wert von circa drei Millionen Euro wurden zur Verfügung gestellt.
Ursprünglich sollte der Wiederaufbau der Barockkirche, der insgesamt um die 100 Millionen Euro kosten soll, ganz aus Spenden finanziert werden. Doch trotz des Engagements ranghoher Kirchenvertreter und Politiker, des Ex-Bischofs Wolfgang Huber zum Beispiel, der Vorsitzenden der Synode der EKD, Irmgard Schwaetzer, Sigmar Gabriels, Manfred Stolpes, Matthias Platzecks und vieler mehr kamen nach mehr als zehn Jahren des Spendensammelns nur sechs Millionen Euro für das Projekt zusammen. Der Baubeginn wurde mehrfach verschoben, der erste Bauabschnitt auf ein Minimum reduziert, und trotzdem, es reichte nicht. Schließlich sprang die evangelische Kirche mit Krediten in Höhe von fünf Millionen Euro ein.
Die Garnisonkirche hat es schwer: Ihr kirchlicher Rechtsnachfolger, die Heilig-Kurze-Gemeinde, lehnte schon in den neunziger Jahren den Wiederaufbau ab und sah keinen Bedarf für eine weitere Kirche in Potsdam. Vor sechs Jahren wurde eigens für das Projekt eine Profilgemeinde geschaffen; aber zu den wöchentlichen Gottesdiensten in der Nagelkreuzkapelle kommen oft nur zwei Handvoll Besucher.
Ein Neubau von 40 Millionen für ein Dutzend Kirchgänger? Nein, es geht um Höheres, es geht um ein Nationaldenkmal. Als Kirche des preußischen Militärs und Grablege der preußischen Könige ist der Bau eines der wichtigsten Symbole Preußens. Und das darf im wiederaufbauseligen Potsdam nicht fehlen. Doch steht die Garnisonkirche in den Augen vieler auch für die problematischen Seiten des preußischen Erbes. Das wissen auch die Aufbaubefürworter und sprechen von einer wechselvollen, ja auch zwiespältigen Geschichte. Beim „Tag von Potsdam“, dem 21. März 1933, sei die Kirche von den Nationalsozialisten missbraucht worden. Viel deutlicher aber habe sie „für christlich verantwortetes Handeln für die Gemeinschaft“, für die Verbindung von christlichem Glauben und „preußischen Tugenden“ gestanden. Sie sei für zahlreiche Offiziere des Widerstands vom 20. Juli 1944 „geistliche Heimat“ und „ein wichtiger Ort“ gewesen.
Über die problematischen Seiten schweigt man lieber – und hält es wie die chinesische KP mit dem Erbe Mao Tse-tungs: Die spricht abstrakt davon, „70 Prozent seien gut, 30 Prozent schlecht gewesen“ und nimmt so Kritikern den Wind aus den Segeln, ohne Verehrer zu verprellen. Ohnehin sieht sich die Kirche als Opfer der Zeitgeschichte: des Nationalsozialismus, des Bombenkriegs, der SED-Diktatur. Das wiederaufgebaute Bauwerk soll zu einem Lernort der Geschichte werden. Was man darunter versteht, zeigt das erste Projekt mit Onlineausstellung, Wissensspeicher und Planspiel. Dies befasst sich mit der Zeit von der Bombardierung bis zum Abriss, von 1945 bis 1968 also, und dient der Diskussion des DDR-Unrechtsstaates. Von einer kritischen Befassung mit preußischer Geschichte keine Spur.
Die ist nur anderswo zu finden: Nach jahrelangen Archivrecherchen hat der Publizist Matthias Grünzig unter dem Titel „Für Deutschtum und Vaterland“ ein Buch zur Geschichte der Garnisonkirche im 20. Jahrhundert herausgebracht. Bis 1918 wurden die Soldaten hier auf den bedingungslosen Gehorsam gegenüber König und Kaiser eingeschworen, von 1933 an auf Hitler. Hier erhielten Verantwortliche für den Völkermord an den Herero und Nama 1904 bis 1908 und für Kriegsverbrechen an der Ostfront 1939 bis 1945 ihren kirchlichen Segen und wurden als Helden gefeiert. In den Zeiten der Weimarer Republik war die Garnisonkirche Wallfahrtsstätte für Reaktionäre und Rechtsradikale. Regelmäßig fanden hier Veranstaltungen des Stahlhelms, der Deutschnationalen Volkspartei, der Bismarckjugend, des Reichskriegerbunds Kyffhäuser und des Alldeutschen Verbands statt. Auch kann nicht die Rede davon sein, dass die Kirche von den Nationalsozialisten missbraucht wurde. Sie waren hier schon vor der Machtergreifung willkommen. Und Generalsuperintendent Otto Dibelius hat, anders als von der Kirche bislang behauptet, den Staatsakt am „Tag von Potsdam“ in der Garnisonkirche keineswegs zu verhindern gesucht, sondern maßgeblich zu seinem Zustandekommen beigetragen.
Während die Betreiber des Wiederaufbaus diese unbequemen Wahrheiten verleugnen, haben sie keine Scheu, bei den potentiell positiven Seiten etwas nachzuhelfen. So verlegen sie die anlässlich der Konfirmation seiner beiden Söhne gehaltene Rede des Widerständlers Henning von Tresckow vom Potsdamer Regimenthaus in die Garnisonkirche.
Grünzig ist nicht der Erste, der die Mythen um die Garnisonkirche destruiert. Schon im Jahr 2013 hat Linda von Keyserlingk, Kuratorin im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr, klargestellt, dass die Garnisonkirche eben nicht, wie Manfred Stolpe postulierte, eine „Keimzelle des Widerstands gegen die braunen Verbrecher“ gewesen sei; und dass hier auch nicht der Ort war, wo die Attentäter des 20. Julis „ihren Glauben gestärkt, ihr Gewissen geschärft und ihren Gemeinsinn geformt“ haben, wie das der Potsdamer Pfarrer Markus Schütte 2005 behauptete.
Die Kirche verweigert sich nicht nur, ihre eigene Geschichte selbst kritisch zu erforschen, sondern korrigiert auch nicht ihre durch die Forschung anderer widerlegten Falschdarstellungen. An dem selbstpostulierten „Lernort deutscher Geschichte“ werden zahlreiche Publikationen verkauft, welche die preußische Geschichte der Garnisonkirche zelebrieren, nicht aber das Buch von Matthias Grünzig. Auch sonst ist man kein Freund von kritischen Stimmen.
Kritische Fragen beantwortet die Stiftung Garnisonkirche nur nach monatelangem Zögern oder gar nicht; die Einladung einer Kreuzberger Gemeinde zum Streitgespräch im Rahmen des Kirchentags schlugen Kirchenvertreter aus.
Am wichtigsten war aber die Abwehr eines drohenden Bürgerentscheids 2014. Binnen dreieinhalb Monaten hatten Projektkritiker mehr als 14000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren gegen den Wiederaufbau gesammelt, mehr als zehn Prozent der Wahlberechtigten Potsdams. Das Projekt drohte an einem Bürgerentscheid zu scheitern, wie drei Jahre zuvor der geplante Wiederaufbau der Ulrichkirche in Magdeburg. Die Parteien im Potsdamer Stadtparlament wussten sich zu helfen. Mit einem Verfahrenstrick hebelten CDU und SPD das Bürgerbegehren aus.
Die Ursprünge des Vorhabens reichen zurück in das Jahr 1984, als der Bundeswehroffizier Max Klaar den Verein Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel gründete und zunächst Spenden für die Rekonstruktion des Glockenspiels der Kirche sammelte. Als bereits zwei Jahre später in der Winkelmann-Kaserne in Iserlohn die ersten 24 Glocken eingeweiht wurden, stellte der als Festredner bestellte Monarchist Wolfgang Stribrny die Oder-Neiße-Grenze subtil in Frage.

Das von der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel gestifetete Glockenspiel mit zahlreiche militärische Widmungen, u.a. für den „Kyffhäuserbund“, dem rechtsgerichteten deutschen Soldatenverband.

Nach dem Mauerfall fiel die Initiative in Potsdam auf fruchtbaren Boden. Im April 1991 nahm die Stadt das inzwischen gänzlich wiederhergestellte Glockenspiel entgegen und stellte es unweit des historischen Standortes auf. Stillschweigend entfernte die Stadt die Inschriften von sieben Glocken, welche den ehemaligen deutschen Ostgebieten gewidmet waren. Erhalten bleiben allerdings zahlreiche militärische Widmungen sowie die Inschrift „Kyffhäuserbund“.
Trotz ihres offenkundig revisionistisch-rechtslastigen Hintergrunds wurden Max Klaar und seine Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel vom Potsdamer Oberbürgermeister gebeten, sich nun für die Finanzierung des Wiederaufbaus der gesamten Kirche zu engagieren. Klaars Eintreten für die Wiederherstellung von Deutschland in den Grenzen von 1937 schreckte führende Vertreter von SPD, CDU und Kirche nicht ab.
Erhebliche Differenzen traten auf, als die evangelische Kirche 2001 unter dem Titel „Veränderung ist möglich – The Spirit of Change“ ihre erste inhaltliche Konzeption für den Wiederaufbau vorlegte, welche das Wiederanknüpfen an das preußische Erbe mit einem expliziten Bruch verknüpfte: Die Turmspitze der ansonsten originalgetreu wiederaufgebauten Kirche sollte das Nagelkreuz von Coventry statt des Preußen-Adlers und der Sonnenscheibe bilden; ein Internationales Versöhnungszentrum sollte auch Wehrdienstverweigerung thematisieren. Klaar und seine Mitstreiter von der Traditionsgemeinschaft wehrten sich gegen einen solchen Bruch – mit Erfolg: Bundeswehroffizier Burkhart Franck, zunächst Geschäftsführer der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel, dann Mitbegründer und Vorstandsmitglied der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche, konnte 2010 in der „Preußischen Allgemeinen Zeitung“, dem Amtsblatt der Landmannschaft Ostpreußen, mitteilen, „die Kirche vom ‚Internationalen Versöhnungszentrum‘ abgebracht“ und auch das Nagelkreuz auf der Kirchturmspitze verhindert zu haben.
Doch Klaar, der sich nach seiner Pensionierung zunehmend radikalisierte und dessen Aktivitäten nun auch vom Bundesverteidigungsminister als rechtsextrem eingestuft wurden, reichte dies nicht. Er hatte vorgehabt, mit seiner Stiftung Preußisches Kulturerbe selber Bauherr und Betreiber des Projektes zu sein, und konnte sich offenkundig nicht damit abfinden, dass eine kirchliche Stiftung diese Rolle erfüllt. So ließ er zunächst sein Engagement ruhen, später die sechs Millionen Euro an gesammelten Spenden anderen Projekten zukommen. Doch so wortreich seine Kritik an dem Konzept für die Garnisonkirche war, so doppeldeutig war sein Verhalten. Denn den Großteil der Gelder ließ er Kirchen in Brandenburg zugutekommen. Und so fiel es der so finanziell entlasteten Landeskirche nicht schwer, dem Wiederaufbauprojekt der Garnisonkirche einen Kredit von annähernd gleicher Größe zu gewähren.
Als 2015 bekannt wurde, dass Max Klaar die Alleinschuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg in Frage stellte, reagierten Kirchenvertreter wie die Generalsuperintendentin Heilgard Asmus und der Potsdamer Pfarrer Klaus-Günter Müller keineswegs entsetzt, sondern äußerten Verständnis. Sie sprachen davon, dass der Vertrag von Versailles „nach Revanche schreit, ist doch klar“; und es sei wohl „zu einfach zu sagen, … Deutschland war ganz allein schuld und alle anderen wollten gar keinen Krieg“.
Da der Rückhalt aus der Mitte der Bevölkerung so mager ausfällt, scheinen die Wiederaufbaubetreiber auf den Rückenwind und die Spendengelder vom rechten Rand ungern verzichten zu wollen und betonen heute Kontinuität statt Bruch. Die enge Verbindung zwischen Kirche, Staat und Militär, wie sie seit Kirchengründung bis 1945 bestand, wird heute in den Stiftungsgremien wie auch bei Gottesdiensten wiederbelebt. Für einen kritischen Umgang mit der Geschichte vor 1945 fehlt nicht nur das Interesse, sondern auch schlichtweg das Geld. Die ursprünglich hierfür vorgesehenen minimalen Personal- und Sachmittel wurden gestrichen. Geld wird alleine für die baulichen Investitionen eingeworben, einschließlich der originalgetreuen Rekonstruktion von Waffenschmuck und Kriegstrophäen des Barockbaus.

Erstmals veröffentlicht in der Frankfurter allegemeien Sonntagszeitung am 17. Juli 2018

 

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