Von der Stadt abgewandt, und sehr modern

Eine städtebauliche und architektonische Kritik des Wettbewerbsentwurf von Franco Stella. Von Philipp Oswalt

Aus einem Unbehagen an zeitgenössischer Architektur sind vielerorts die Rekonstruktion von wichtigen historischen Bauten und Ensembles populär geworden. Durch den Wiederaufbau historischer Strukturen sollen die städtebaulichen Wunden geheilt werden, denn die Moderne sei gescheitert. Doch gerade am Wiederaufbau des Berliner Schlosses zeigt sich, dass dies eine fragwürdige Behauptung ist. Denn schnell wird deutlich, dass der beabsichtigte Bau des Humboldtforum nach den Plänen Francesco Stellas keineswegs eine städtebaulich gelungene Lösung darstellt. Mehr noch: Letztendlich ist er – in problematischer Weise- von einem modernen Verständnis von Architektur und Städtebau geprägt.

Am gravierendsten hierbei ist, dass sich das Gebäude vom öffentlichen Raum abwendet. Von seiner ursprünglichen Funktion als Herrschersitz war das Schloss nicht primär Ort für eine urbane Öffentlichkeit. Und so beginnen die Fensteröffnungen der rekonstruierten Fassaden erst weit über Augenhöhe bei 3 Metern und mehr. Wer am Schloss vorbeigeht, geht an einem verschlossenen steinernen Sockel entlang. Nicht umsonst empfand der verstorbene Architekturhistoriker Julius Posener den historischen Bau, den er noch erlebt hatte, als einem kalten, grauen abweisenden Klotz. Und wie bei einem Shopping Center lässt sich das introvertierte Gebäude nur von den Portalen her betreten. Doch das ist noch nicht alles. Denn wenn man eingetreten ist, umgeben ein bei Stellas Entwurf zunächst fast ausschließlich nicht zugängliche Räume für Lager, Facility Management, Büros usw. Es ist so absurd, dass man es für einen Versehen halten müsste, wenn man nicht wüsste, dass auch im historischen Schloss das Erdgeschoss von den ganzen Serviceeinrichtungen und Nebenfunktionen eingenommen wurde, über denen dann königlich residiert wurde. Eine solche elitäre Abschottung ist für einen Königshofe eine angebrachte Geste, für ein öffentliches Kulturgebäude mit zehntausenden Besuchern täglich jedoch hinderlich. Will der Gast eine Veranstaltung, ein Bistro oder Restaurant besuchen, so muss er herab in den Keller ohne Tageslicht. Wenn er aber das programmatische Herzstück des Humboldtforums, die außereuropäischen Sammlungen, aufsuchen will, so muss er über lange Treppen zu Fuß 14 Meter nach oben steigen. Eine Rolltreppe gibt es nicht, und die wenigen kleinen Aufzüge werden die gewünschten Besuchermassen nicht befördern können.
Das Dilemma der Abschottung ergibt sich bereits durch die Auslobung. Was dem Schloss fehlt, ist eine Geste der Öffnung, die Verknüpfung von Gebäude mit dem Stadtraum. Das grandiose Alte Museum von Schinkel auf der anderen Seite des Lustgartens zeigt, was hier fehlt: Die Loggia mit der großen Freitreppe ist ein städtischer Ort par Excellence. Oder wenige Schritte entfernt Unter den Lindern hinunter steht die Staatsoper, deren Zuschauerfoyer sich auf den Bürgersteig öffnet, so dass in den Pausen die Operngäste auf die Straße hinaustreten.
Dass es auch anders hätte gehen können, zeigt der Sonderpreis von Kühn-Malvezzi, der die historische Fassade so modifiziert, so dass sie sich im Westbereich öffnet, durchlässig wird: Ein öffentlicher Vorhof entsteht, der mit der umgebenden Stadt kommuniziert. Doch Stella geht den umgekehrten Weg: Nach Osten, wo man ohne Mühe und ohne Änderung der historischen Vorgaben das Gebäude hätte öffnen können, schließt er es mit einer Brandwand hermetisch ab, vor die er eine isolierte „Loggia“ stellt, die merkliche Ähnlichkeiten mit seinem Parkhausentwurf für den Lützowplatz von 1981 aufweist.

Das historische Schloss (um 1730) bildete mit der umgebenden Bebauung ein differentiertes, feingliedriges Raumgefüge. Bei dem geplanten ‚Wiederaufbau‘ nach den Entwürfen von Franco Stella wird das Schloss jedoch zu einem nur auf sich bezogenen Solitär, welcher ohen Bezug zum Kontext bleibt. 

 

Während dieses Problem der Entkoppelung des Gebäudes vom umgehenden Stadtraum eine Verschärfung der historischen Gegebenheiten geschuldet ist, erfährt der Schlossbaukörper bei dem Entwurf von Stella wie bei den meisten anderen Wettbewerbsentwürfen eine stadträumliche Umdeutung, welche die historische Situation in ihr Gegenteil verwandelt. Anders als bei den prototypischen Barockschlössern- denken wir etwa an Karlsruhe – war das Berliner Schloss eben kein freistehendes Monument, auf das die städtischen Wege- und Blickachsen fokussiert waren. Bis zu seinem Abriss konnte man sich dem Berliner Schloss nur von der Seite her, also tangential nähern. Der Baukörper war durch eine Reihe von angrenzende Bauten mit der Stadt verwoben: sei es durch den alten Dom im Süden, die Bebauung der Schlossfreiheit im Westen und den Apothekerflügel im Norden. Damit wurde der umgebende Stadtraum in eine artikulierte Raumfolge gegliedert. Doch damit ist jetzt Schluss. Stella stellt den Schlossbaukörper frei, macht ihn zu einem idealisierten, solitären Monument, welches nur auf sich selbst bezogen ohne Halt in einem großen Freiraum steht, nicht unähnlich den modernen Solitären des Kulturforums.

Die Idealisierung des Bauköpers führt noch zu etwas weiterem: Das historische Schloss war in vielen Jahrhundert gewachsen, erweitert und immer wieder auch umgebaut worden. Am ursprünglichen Bauköper waren die unterschiedlichen Etappen der Entwicklungsgeschichte gut ablesbar, das Gebäude Dokument seiner eigenen Geschichtlichkeit. Doch Stellas Entwurf tilgt durch Reduktion und Symmetrisierung jede Geschichtlichkeit, idealisiert das Vorgefundene zu einem nie dagewesenen platonischen Idealkörper. Geschichte wird hier nicht lesbar, sondern zum verschwinden gebracht.

Der Stellasche Reduktionismus betrifft aber nicht nur die Formung des Baukörpers, sondern prägt auch den Umgang mit der Fassadenrekonstruktion. Der architektonische Höhepunkt des Schlosses war der Schlüterhof; in diesem Raumkunstwerk zeigte sich das Können Schlüters wie nirgends wo sonst. Die plastische Ausformung der Fassade war Ergebnis einer umfassenden räumlichen Konzeption, dessen Herzstück die drei grandiosen Treppenhäuser waren. Während der Sonderpreis von Kühn-Malvezzi und viele andere Wettbewerbsteilnehmer diese respektvoll rekonstruierten, reduziert sich bei Stella der Schlüterhof auf eine reine Fassadenoberfläche. Die Portale sind sinnentleert, weil sich hier nicht mehr die wunderbaren Treppenhäuser befinden, sondern Lager- und Büroräume, Besprechungsräume und eine Mitarbeitercafeteria. Eine räumliche Komposition wird auf das oberflächliche äußere Abbild reduziert.
Das Stellas Entwurf gleichwohl einstimmig zum ersten Preis gekürt wurde, liegt wohl daran, dass er wie kein anderer Entwurf 1:1 den Geist der fragwürdigen Auslobung umsetzt. Gefragt war die Erstellung des Sehnsuchtsbild einer vergangene Epoche. Fast keiner der Protagonisten der Fassadenrekonstruktion kennt das Schloss noch aus eigener Anschauung. Die Sehnsucht speist sich aus der medialen Überlieferung in Bildern und Texten. In Wahrheit ist das Rekonstruktionsvorhaben ausgesprochen modern: Es ist Ausdruck einer Mediengesellschaft, ist eine Medienarchitektur im doppelt Sinne:
Zum einen gibt es vom Schloss so gut wie keine Originalbauteile und Originalpläne. Was von ihm geblieben ist, sind eine Großzahl von Fotografien aus den letzten hundert Jahren seines Bestehens. Für den Wiederaufbau soll nun mittels digitaler Photogammetrie der einstige Zustand rekonstruiert werden. Nach dem Einscannen der Fotos werden aus der Kombination mehrerer zweidimensionaler Bilder rechnerisch dreidimensionale Informationen generiert. Es ist eine Geburt der Architektur aus der Fotografie. Doch nicht nur das.

Der Sockel ist abweisend, die Fenster beginnen erst weit über Augenhöhe.

Der Sockel ist abweisend, die Fenster beginnen erst weit über Augenhöhe
Ebenso wie ihre Erstellung legt die Rezeption einer solchen Architektur ihren medialen Charakter offen. Die historisierende Bebauung des Pariser Platzes am Brandenburger Tor hat dies bereits exemplarisch gezeigt. Der vermeintlich rekonstruierte Stadtplatz ist zum Hauptstadtstudio der Fernsehanstalten und Werbeagenturen geworden. Nahezu täglich finden hier Fernseh- und Filmaufnahmen statt, um vor der historischen Kulisse Produkte, Dienstleistungen, Politiker oder Kulturevents zu vermarkten, während sie zwischen den Events von Touristen fotografiert und gefilmt wird. Ebenso wird das nach technischen Bildern wiederaufgebaute Schloss vornehmlich der Erzeugung neuer Bilder dienen.
Und um in der heutigen Mediengesellschaft gut zu funktionieren, ist es nur folgerichtig, dass das einst Komplizierte, Widersprüchliche und Anstößige auf das Eingängige und leicht Konsumierbare reduziert. Die dabei vollzogene Glättung und Manipulation des Geschichtlichen ist kein Kunstfehler, sondern Absicht. So bejubelt das Nachrichtenmagazin ‚Der Spiegel‘ ohne jede Ironie die pseudohistorische Architektur des Hotel Adlons am Pariser Platz in Berlin als ein Bau, der „so tue, als sei er schon einmal da gewesen, als hätte es den Abriss, all die Schmerzen der Geschichte nicht gegeben“.

Oberflächlich scheinen Rekonstruktionsvorhaben Architekturen ohne zeitgenössische Architekten zu sein. Nicht umsonst behauptet Franco Stella, seine „beiden wichtigsten Mitarbeiter waren die Barockbaumeister Andreas Schlüter und Eosander von Göthe“. Doch nirgendwo spiegelt sich der heutige Zeitgeist mehr als in den Rekonstruktionsvorhaben, nirgendwo sonst ist die Architektur moderner als hier. Was historisch erscheint ist de facto hypermodern. Ein wesentliches Problem dabei ist: Eine solch bildfixierte Medienarchitektur führt meist zu keinem guten Städtebau.

 

Der Text erscheint in dem Buch „Humboldt-Forum. Das Projekt“ herausgegeben von Hermann Parzinger und Thomas Flierl im Verlag Theater der Zeit 2009

Grundschule in Longare, Entwurf Franco Stella mit Pierluigi Bonotto und Pierpaolo Ricatti, Foto aus Franco Stella, hrsg von Nicola Delledonne, Mailand 2005

Ausstellungsbauten für die Messe von Padua, Entwurf Franco Stella und Walter A. Noebel, Foto: Stefano Topuntoli

 

 

 

 

 

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